aus einem Kommentar von Birgit Kelle
Erstmals erschienen „Die Welt“, 14.02.2017 (gekürzt)
Unsere Gesellschaften regen sich über geschredderte Hühnchen auf, aber das Töten von Embryonen ist nur noch ein Schulterzucken wert. Willkommenskultur für Kinder? (…)
Wer aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe verweigert, weil es einen Menschen töten könnte, darf sich in unserem Land auf der Seite der moralisch Anständigen einreihen. Wer hingegen aus Gewissensgründen den Dienst am Skalpell verweigert, um nicht ein Kind im Mutterleib zu töten, riskiert seinen Job. Die christliche Überzeugung eines Oberarztes an einer Klinik im niedersächsischen Dannenberg bringt gerade die erfolgreich stummgeschaltete Debatte um das Drama der Abtreibung an die Oberläche. Dieser Arzt hat offenbar etwas ganz Unerhörtes getan: Er hält sich an seinen hippokratischen Eid, wonach er Leben nicht töten, sondern erhalten soll. Das sagt ihm auch sein christlicher Glaube. Weswegen er auch anderen Kollegen angeordnet hatte, auf seiner Station solle es fortan keine Abtreibungen mehr geben. Der Klinikchef stützte ihn mit dieser Position, jetzt sind die Betreiber der Klinik nach öffentlichem Druck eingeknickt. Der Arzt wird die Klinik verlassen, der Klinikchef ist freigestellt.
Entsetzen hatte sich breitgemacht. Nein, nicht wegen der knapp 100.000 Kinder, die jedes Jahr in Deutschland zwar schon im Bauch ihrer Mütter unterwegs sind, dann aber niemals das Licht der Welt erblicken. Man weiß nicht, wie viele Abtreibungen durch die Entscheidung dieses einen Arztes für diese eine Station an dieser einen Klinik verhindert worden wären. Es können nicht viele sein. Vergangenes Jahr fanden dort genau 31 statt. Es ist eine Prinzipienfrage. Man darf ihn damit nicht durchkommen lassen. Es könnte ja Schule machen.
(…) Entsetzt war auch Niedersachsens Gesundheitsministerin, die gleich laut darüber nachdachte, ob man der Klinik nicht besser zukünftig staatliche Subventionsgelder streichen sollte, denn zu den „Qualitätskriterien“ einer Klinik gehört auch, dass diese für ihre Kundinnen den Service einer vorgeburtlichen Kindstötung bereitstellt. (…) „Eine längst überwundene Diskussion vergangener Jahrzehnte“ nannte es der zuständige Landrat, auch einer der Entsetzten. Das „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ wird von allen bemüht. Mein Bauch gehört mir, ProChoice, ein Frauenrecht!
Wir haben uns an das Wording gewöhnt, das die völlige Legalisierung und Durchführung von Abtreibungen weltweit tatsächlich als Menschenrecht proklamiert. So manchem scheint deswegen nicht mehr geläuig, dass es gar keine kassen-ärztliche, medizinische Dienstleistung ist, wie eine Grippeimpfung. Es ist, was es ist: die vorsätzliche Vernichtung menschlichen Lebens. Für diese Deinition braucht es übrigens weder einen Berufskodex, für diejenigen, die einwenden mögen, sie seien ja schließlich keine Ärzte. Und es braucht auch keine religiösen Regeln, denen sich Atheisten ja nicht unterwerfen müssten. Es steht schlicht allgemeingültig im Gesetz. Wer menschliches Leben tötet, macht sich strafbar. Wer zulässt oder gar mithilft, dass andere menschliches Leben töten, macht sich auch strafbar. Und des-wegen ist es ja konsequent, wenn Abtreibung – also die Tötung eines Kindes im Mutterleib – bis heute ein Straftatbestand unter §218 darstellt.
Da sind wir bereit wegzusehen und leisten uns ethische Paradoxien, die nur noch mit Zynismus zu ertragen sind:
Wir begehen alljährlich den Down-Syndrom-Tag, finanzieren aber mit staatlichem Geld gleich..
und unsere Kinder verkaufen. Man nennt das niedlich Leihmutterschaft, es ist modern – vor allem in prominenten Kreisen. Versuchen sie das gleiche mal mit einer Niere. Das geht natürlich nicht. Das wäre ja Organhandel
Wenn man den Grundsatz „Du sollst nicht töten“ auf Partys engagiert vertreten kann, solange es gilt, das Schreddern von Hühnerküken zu verhindern, führt es zu Empörung im Land, wenn man den gleichen Grundsatz auf ungeborene Kinder anwendet, die leider zur falschen Zeit im falschen Bauch liegen. Denn wir sind doch ein Land, das vorgibt, man wolle mehr Kinder und man sei bemüht, kinderfreundlich zu agieren. Fordern wir nicht sogar parteiübergreifend Kinderrechte ins Grundgesetz? Freilich reden wir aber nur von den Rechten bereits geborener Kinder. Nicht aber von ihrem Recht, geboren zu werden. Da sind wir bereit wegzusehen und leisten uns ethische Paradoxien: Wir begehen alljährlich den Down-Syndrom-Tag, inanzieren aber mit staatlichem Geld gleichzeitig die Forschung, um diesen Gendefekt vorgeburtlich inden zu können, um die Geburt der Kinder zu verhindern.
Wir haben die Abtreibung behinderter Kinder derart salonfähig werden lassen, dass man sich bereits erklären muss, wenn man das, was doch zu verhindern gewesen wäre, zulässt, betreiben aber eifrig Inklusion an den Schulen. Wir formulieren Abtreibung als Straftatbestand, inanzieren denselben aber straffrei über die Kassenbeiträge als qualitativ hochwertige Dienstleistung. Es ist keine Errungenschaft der Zivilisation, dass wir das Töten von Kindern professionalisiert haben und keine Errungenschaft für die Mütter, dass sie das peride „Recht“ bekommen haben, ihre eigenen Kinder töten zu dürfen. Mehr noch, inzwischen dürfen wir international schon für andere gebären und unsere Kinder verkaufen. Man nennt das Leihmutterschaft, es ist modern – vor allem in prominenten Kreisen. Versuchen sie das gleiche mal mit einer Niere. Das geht natürlich nicht. Das wäre ja Organhandel.
„Jede neu erreichte Macht von Menschen über die Natur ist auch immer eine Macht über Menschen. Jeder Fortschritt macht manche stark und andere schwach“, formuliert es C. S. Lewis in seiner „Abschafung des Menschen“. Der Triumphwagen des medizinischen Fortschritts schleppt eben auch Gefangene hinter sich her: Frauen und Kinder. Der internationale Exportschlager Abtreibung fällt ausgerechnet auf diejenigen zurück, die ihn am lautesten eingefordert haben: die Frauen. Wir haben die Abtreibung in die Welt getragen und jetzt werden weltweit vor allem Mädchen abgetrieben.
Die Autorin Birgit Kelle (42) arbeitet als Journalistin und Publizistin. Sie ist verheiratet und wohnt zusammen mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern am Niederrhein.
Der Feminismus frisst seine Töchter und alle schauen verschämt weg. Allein in Indien und China reden wir von zusammen
160 Millionen Mädchen, die fehlen. Bei Wikipedia hat es diese Tragik inzwischen zu einem eigenen Genre gebracht: man
spricht von Femizid. Bei uns agiert eine ganze Gesellschaft verlogen, denn inzwischen sind die meisten von uns Betroffene. Eine jahrzehntelange Abtreibungspraxis, die den Ausnahmefall zur Regel machte, ging nicht spurlos vorbei. Kaum jemand, der nicht eine Frau, eine Mutter, eine Tochter, eine Freundin oder eine Kollegin kennt, die „es“ hat „wegmachen lassen“. Gerne redet keine darüber. Nicht, weil die Gesellschaft sie ächten würde, sondern weil es Gedanken freisetzt, die man selbst gerne ungedacht lässt. Weil die Schuldfrage zwar gesetzlich erfolgreich genommen wurde, persönliche Erlösung aber leider nicht staatlich zugeteilt werden kann. Wie würde mein Kind heute aussehen? Wie viele Beziehungen mögen gescheitert sein, an der bitteren und nie ausgesprochenen Erkenntnis: Er hat mich nicht davon abgehalten. Im Gegenteil. Wie viele Kinder mehr hätten wir wohl in unserem Land, wenn die erste Reaktion von Männern, Freundinnen und Familie nicht so oft wäre: „Oh mein Gott“ – sondern „Oh wie schön“.
Oft fehlt nur ein einziger Mensch, der den erlösenden Satz sagt: Bekomm dein Kind. Stattdessen ist es nicht selten um Himmels Willen der falsche Zeitpunkt, der falsche Mann, das unperfekte Kind. Die Erschütterung des Schmerzes, den viele Frauen auch noch Jahre danach fühlen, sollte eine Warnung sein. (…)
(Erschienen in PM 1/2017, S. 12-14)
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