von Andreas Gürke (Weinbacher Wandervogel)
Smartphones gehören heute für fast alle jungen Menschen zum Alltag und werden eifrig genutzt. Fast ohne Unterlass wird angeklickt, geschrieben und irgendwelche Neuigkeiten oder Fotos geteilt. Nie war die Vernetzung unter jungen Leuten so groß wie heute. Trotzdem scheinen sich immer mehr Kinder und Jugendliche allein zu fühlen, sagen sowohl Psychologen, Kinderärzte als auch Mitarbeiter von Sorgentelefonen; Einsamkeit und depressive Verstimmung würden unter Jugendlichen deutlich erkennbar zunehmen. Trotz der Vielfalt an und regem Gebrauch von sozialen Netzwerken fühlen sich offenbar immer mehr Jugendliche isoliert und teilweise einsam. Auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn fast jeder ist in eine große virtuelle Gemeinschaft eingebunden – doch das Gefühl dazu passt nicht. Das zeigen auch Studien über das größte soziale Netzwerk Facebook, die zunehmend kritischere Ergebnisse liefern. Wissenschaftler um den Psychologen Ethan Kross von der University of Michigan haben z.B. herausgefunden, dass die Nutzung von Facebook das subjektive Wohlbefinden junger Menschen eher reduziert als steigert – obwohl das Netzwerk ja eigentlich das Grundbedürfnis nach Austausch und Kommunikation befriedigen müsste.
Bei Facebook steht das Ego im Mittelpunkt
Was könnten Ursachen sein? Vielleicht weil bei Facebook und Co. das Ego im Mittelpunkt steht und nicht eine reale Beziehung zu anderen. Es dreht sich dort nämlich alles ums eigene Ich, und das, obwohl man ja auf Facebook noch nicht mal man selbst ist, sondern sich vielmehr auf ein angelegtes Profil reduziert, das immer, beabsichtig oder auch nicht, verzerrt ist. „Schwierig wird diese Inszenierung dadurch, dass man sein eigenes Profil ständig mit dem von Freunden und Bekannten vergleichen kann – die scheinbar alle richtig tolle Dinge tun“, sagt der der langjährige Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, „Gleichzeitig sitzt man alleine vor dem Bildschirm. Am Ende des Tages bleibt die eigene Defiziterfahrung“.
Von den Smartphones bzw. den dahinterliegenden sozialen Netzwerken wird also gewissermaßen ein Feedback zum eigenen Leben erwartet, und der ist bei sehr vielen, vielleicht den meisten, nicht unbedingt so positiv wie vielleicht erhofft, was dann zu sorgenvollen Fragen führt wie: „Warum bin ich nicht so erfolgreich, beliebt oder glücklich wie der andere?“ Ein zusätzliches Problem dabei: Viele vergleichen sich mit Leuten, die ihnen eigentlich egal sein könnten, weil sie sie sowieso kaum kennen. Bei denen, die man näher kennt, weiß man ja, dass es auch einen Hintergrund hinter der Fassade gibt, dass nicht ganzheitlich alles immer so positiv ist, wie im Schaufenster zu sehen. Aber durch die schiere Menge der positiven Darstellung, die sich ja nicht, wie früher, auf den engen Freundeskreis und ein paar Medienstars beschränkt, beginnt der eine oder andere dann an sich zu zweifeln.
Außer diesem Vergleich der eigenen Person mit anderen versuchen viele, wie der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sagt, „über die virtuellen Kontakte all das zu bekommen, was man nur in der risikoreichen Welt da draußen bekommen kann.“ Und manche verlieren sich dann in diesem Bemühen, stets einen Eindruck hinterlassen zu wollen. „Sie wissen am Ende des Tages gar nicht, wer sie sind.“ Mit echtem Austausch und richtiger Kommunikation hat das wenig zu tun.
Wichtige Merkmale von echter Freundschaft fallen im sozialen Netzwerk einfach weg. „Facebook limitiert und strukturiert die Kommunikation. Es gibt keinen Dislike-Button, soziale Rückschläge finden nicht statt“, sagt Heinzlmaier. Kaum jemand teilt seine Misserfolge schließlich dem gesamten Bekanntenkreis mit. Auch echte Emotionen lassen sich durch Profile nur schlecht vermitteln. Am Ende bekommt man tatsächlich nur wenig Feedback. Ein persönliches Gespräch oder zumindest Telefonat ist durch Chats nicht ersetzbar.
Deshalb darf man laut Heinzlmaier ein Netzwerk im Internet auch nicht mit einer „realen“ Gemeinschaft in einer Gruppe oder Clique verwechseln: „In der Gemeinschaft überwindet man das Nutzenprinzip. Man unterstützt andere, ohne selbst einen Vorteil zu haben. Ein Netzwerk hingegen ist immer sehr nutzenorientiert.“
Inflationäre Verwendung des Freundschaftsbegriffes
Ein weiteres Problem sozialer Netzwerke ist die inflationäre Verwendung des Freundschaftsbegriffes, denn dadurch wird womöglich etwas vermittelt oder erwartet, was allein in Anbetracht der schieren Zahlen gar nicht vorhanden sein kann. Zwar können die meisten, so belegt es nicht nur die eigene Erfahrung sondern auch Studien, nach wie vor sehr gut zwischen dem Real-Leben und virtuellen Netzwerken unterscheiden. Die meisten wissen auch, dass das Wort „Freund“ in der Verwendung in den sozialen Netzwerken einfach falsch ins Deutsche übersetzt wurde, denn es kommt ja aus dem Amerikanischen und dort bedeutet „Friend“ etwas anderes als bei uns der „Freund“. Man müsste es also, z.B. in Facebook, wo jeder Nutzer im Durchschnitt mit 350 „Freunden“ verbunden ist, besser mit „Bekannter“ oder „Kumpel“ übersetzen.
Obwohl einerseits dieses theoretische Wissen um die Begrifflichkeiten und sich unterscheidende Inhalte vorhanden ist, scheint es dennoch oft verdrängt zu werden. Wider besseres Wissen wird oft Beziehung, Gemeinschaft, Aufgehoben-Sein, irgendwelche praktisch erlebbare Hilfsbereitschaft und wirklicher Austausch erwartet, obwohl, wie schon beschrieben, das Netz solches gar nicht leisten kann.
Die typische Aussage dazu um Freundschaftsspitzenreiter wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen, sind allgemein bekannt: „Wie viele Freunde Du wirklich hast, siehst Du, wenn Du beim Umzug Hilfe zum Kartontragen brauchst!“ oder zum gemeinsamen Lernen vor wichtigen Prüfungen oder die einen im Krankenhaus besuchen oder einen bei großen Nöten mal real in den Arm nehmen. So wird schnell klar: ein wahres soziales Netz zeigt sich erst in der Krise.
Man kann kaum mehr als 150 Bekannte haben und nur wenige Freunde.
Man kann nämlich durchaus viele Bekannte haben, aber eben nur wenige wirkliche Freunde. Bei der Anzahl von Bekannten geht der britische Evolutions-Psychologe Robin Dunbar davon aus, dass unser menschliches Gehirn maximal 150 Kontakte verwalten kann. Das deckt sich übrigens, auch historisch und rings um die Welt betrachtet, mit der Größe vieler Stammes-, Clan- und Religions-Gemeinschaften, auch die kleinsten selbständigen militärischen Einheiten, die Kompanien, haben in fast allen Ländern der Erde maximal 150 Personen.
Wirkliche Freunde hat man meistens nur sehr wenige. Denn intensive Freundschaften zu pflegen braucht Zeit und ist relativ aufwendig. Forscher aus Finnland haben jetzt gezeigt: Menschen kommunizieren außerhalb der Familie fast die Hälfte ihrer Zeit mit nur ein paar wenigen anderen – das sind wahrscheinlich ihre engsten Freunde. Der Psychologe Dr. Wolfgang Krüger sagt,
„Wenn es hochkommt, hat ein Mensch drei wirklich gute Freunde. Darüber hinaus pflegen wir rund zwölf Durchschnittsfreundschaften. Das sind Menschen, die man zum Geburtstag einlädt und die ein bisschen mehr über einen wissen. Alles andere sind Bekannte mit einer gewissen Form von Innigkeit wie Nachbarn oder Kollegen.“
Früh beliebt und populär – später unglücklich?
Tragisch auch, dass es auf Dauer offenbar wenig bringt, ganz viele Bekannte zu haben und dort äußerst beliebt zu sein. Jedenfalls wenn man einer Studie des US-amerikanischen National Institute of Child Health and Human Development Glauben schenkt. Die Soziologen hatten 169 Teenager 10 Jahre lang begleitet: vom 15. bis zum 25. Lebensjahr. Die Gruppe bestand aus Probanden mit unterschiedlichen ethnischen, finanziellen und sozioökonomischen Hintergründen.
Es kam heraus: Die Teilnehmer, die früher als sehr populär galten, hatten im jungen Erwachsenenalter eher mit sozialen Ängsten bis hin zu Depressionen zu kämpfen. Die besonders coolen Kids auf dem Pausenhof, die vor ein paar Jahren noch zu den gehörten, zu denen jeder aufblickte und mit denen jeder befreundet sein wollte und deren Namen jeder kannte, leiden heute, zehn Jahre später, offenbar mehr als andere unter sozialen Ängsten oder gar an Depressionen.
Im Gegensatz dazu stellte sich heraus, dass die Teilnehmer, die damals nur wenige, aber dafür sehr enge Freunde hatten, später sozial gefestigter und glücklicher waren.
Die landläufige Meinung; Wer bei vielen Menschen beliebt ist, der ist auch glücklich, scheint nach der US-Studie auf lange Sicht so nicht zu stimmen. Die große Beliebtheit im Teenageralter kann später sogar unglücklich machen. Die Forscher führen das darauf zurück, dass die positiven Gefühle, die aus einer engen Freundschaft entstehen, auch eine positive Auswirkung auf das Selbstbild einer Person haben. Denn sie unterstützen mit der in engen und ernsthaften Freundschaften vorhandenen realen Rückkoppelung die Entwicklung einer persönlichen Identität.
Der Freund als Spiegel deiner Seele
„Der Freund ist der Spiegel deiner Seele und noch mehr deines Verhaltens“, sagt man. Man merkt an ihm sofort, wenn eigenes Verhalten aneckt; an dessen Reaktionen, auch emotionalen, verbalen oder auch körperlichen Widerworten, in der Mimik und im Gesamtverhalten des Gegenübers. All das kann das Netz nicht bieten, denn erlebte Emotionen lassen sich nun mal nicht mit irgendwelchen Smiley-Buttons ausdrücken, und Streit und Widerspruch werden aus verkaufsstrategischen Gründen von den Betreibern gar nicht gewollt, deshalb wird im Netz meist nur „geliked“.
So mangelt es in den Netzwerken zwar nicht an Kontakten, aber eben an Tiefe, die Vertrauen und echte Beziehung erst ermöglicht. Und es fehlt ebenfalls an der notwendigen Zeit, die man real miteinander verbringt und auch an realen gemeinsamen Erlebnissen. Sich gegenseitig die Hand zu reichen, um sich bei der Wanderung über eine schwierige Stelle zu helfen; am steilen Berg von einem Stärkeren mal den Rucksack abgenommen zu bekommen; obwohl man selbst noch Hunger hat, den letzten Nachschlag jemand anderem zu überlassen oder ihn selbst von anderen überlassen zu bekommen; aneinander angelehnt schweigend in das niederbrennende Feuer zu schauen oder vor dem Einschlafen über den Sternenhimmel und die unendliche Weite des Alls zu sinnieren; vor allem aber erlebt zu haben, dass man sich aufeinander verlassen kann – all das kann dazu beitragen, Freundschaften wachsen zu lassen. „Kann“- denn Garantien und sichere „Rezepte“ gibt es dafür nicht. Unabdingbar bleiben jedoch Wollen und Bereitschaft, Vertrauen, miteinander verbrachte Zeit und gemeinsame Realerlebnisse.
„Richtige“ Gruppen, Fahrtengemeinschaften, die sich auch gemeinschaftlich dem Abenteuer stellen und vor allem auch Zeit miteinander verbringen, bieten da jedenfalls gute Möglichkeiten. Sicher soll und wird es nicht darum gehen, sich zwischen dem Einen oder Anderen, zwischen Aktivitäten im Netz und in realer Welt zu entscheiden. Man kann ja aus der Zeit und Gegenwart nicht entfliehen. Deshalb kommt es auf ein sinnvolles, vielleicht sogar im wahrsten Sinne des Wortes ‚gesundes‘ sowohl als auch an. Und auf ein Erkennen und Einschätzen der Möglichkeiten. Wer die sozialen Netzwerke durchschaut und so begreift, wie sie sind, was sie können und was nicht, wird dort nichts Unerfüllbares erwarten.
Neue Bekanntschaften zu machen, auf ganz andere Ideen zu kommen, wenn es darauf ankommt schnell miteinander Nachrichten tauschen zu können und Kontakte zu sehr weit entfernten Freunden zu halten sind feine Sachen. Darauf muss man nicht verzichten. Die Frage ist vielmehr, ob einem das und massenweise Bekanntschaften genügen,- oder eben nicht.
Wem es nicht genügt, dem steht glücklicherweise nebenbei – oder viel besser – als Hauptfeld noch das Real-Life als Tummelplatz und Entfaltungsraum zur Verfügung. Und vielleicht gibt es ja auch eine gute Gruppe ganz in der Nähe…
(Erschienen in PM 142 1-2018, S. 11-13)
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