Ein Bericht von Matthias Rudolph
Seit zwei Tagen sind wir mit 25 Raidern in Burgund unterwegs. Es ist Ende Oktober, ein goldener Herbst.
Die Wiesen sind vom gefrorenen Tau überzogen, die Rauchschwaden der Lagerfeuer ziehen über das Feld. Der Weckpfiff ruft uns aus den Schlafsäcken. Wir beginnen den Tag mit dem gemeinsamen Angelus. Zusammen mit 200 anderen Raidern aus verschiedensten europäischen Ländern stehen wir kurz danach zur Morgenrunde des Trocons im Karree. Die Sonnenstrahlen gleiten durch Eichen und den Nebelschleier, nur unterbrochen von Bannern, auf denen die Kreuzlilie zu erkennen ist. Aufbruch zum letzten Etappenziel unserer Fußwallfahrt: Nach Vezelay, dem großen Heiligtum, wo die Reliquien der heiligen Maria Magdalena verehrt werden. Am Nachmittag erreichen wir den großen Lagerplatz in unmittelbarer Nähe des Wallfahrtsortes. Von hier aus starten wir am Abend, wenn es dunkel geworden ist, zur eigentlichen Prozession, bei der die verschiedenen Nationen Europas große Holzkreuze mittragen. Fackeln erleuchteten die Gesichter der zum Abmarsch bereiten Raider und Rover, nur überstrahlt von zwei großen Feuern die zwischen den beiden Reihen mit mehr als 2000 Menschen liegen. Immer wieder erschallt der uralte Wallfahrtsruf „e Ultreia, e Ultreia“ im vielfachen Kanon durch die Reihen. Das massive Eichenkreuz, das deutsche Kriegsgefangene nach dem 2. Weltkrieg aus den Balken der zerstörten Gebäude angefertigt und nach Vezelay getragen hatten, liegt jetzt schwer auf unseren Schultern. Die Last dieses Kreuzes lässt uns die Andacht an das Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus auf eine ganz neue Weise konkret erfahren. „Kyrie Eleison, Eleison, Eleison“ hört man als immer wiederkehrenden Kanon auch über den Vorplatz der romanisch- gotischen Basilika schallen. Jetzt prasseln dumpf die gegabelten Wanderstöcke auf die mit schweren Eisenbeschlägen versehenen Tore der Kirche. Sie gehören jenen Pfadndern, die am Abend zuvor ihren sog. „Roveraufbruch“ im Licht hunderter Fackeln abgelegt hatten. Unter dem Ächzen der Scharniere geben die Tore den Weg frei. Erwartungsvoll stürmen die Rover die Basilika. Raider und Rover aus ganz Europa drängen in das schlichte, aber zugleich imposante Langhaus des Heiligtums. Dann wird es still. Von hinten betritt der HERR das Heiligtum. In feierlicher Prozession schreitet Kardinal Sarah mit der Monstranz durch unsere Reihe: Jesus ist unter den eucharistischen Gestalten in unserer Mitte. Wir singen ihm, wir beten zu ihm, wir meditieren über die Worte, die der Kardinal als Impulse immer wieder gibt – wir bewundern die Liebe, die Jesus in diesem Sakrament zu uns beweist, und versuchen ihm aus ganzem Herzen zu antworten. Die Zeit vergeht wie im Flug? Eine Stunde? Zwei Stunden? Vor dem Herrn sind 1000 Jahre wie ein Tag…
Am nächsten Morgen kommen wir nochmals zur Kathedrale zurück. Kardinal Sarah feiert mit und für uns noch das Hochamt. In seiner fulminanten Predigt ermutigt er uns, den Glauben in unserer Zeit weiter in die Welt zu tragen und nicht blind den Moden der heutigen Zeiten hinterherzulaufen. Immer wieder kommt er auf die Grundlagentexte unseres Zeremoniells zu sprechen und macht uns deutlich, welchen Schatz uns im katholischen Pfadfindertum anvertraut ist. Voller Motivation und tief erfüllt treten wir den Weg nach Hause an; wir nehmen eine Menge unvergesslicher Erinnerungen und Erfahrungen mit. Bis zum nächste Mal: E Ultreia!
(Erschienen in PM 138 4/2016, S. 14-15)
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