von Pfarrer Pierre–Hervé Grosjean (Dezember 2007 – St. Augustin/Paris)
Eine 3-teilige Serie
Teil III
Vorbemerkung
Der dritte Teil der Serie bedarf einer wichtigen Ergänzung, die wir an dieser Stelle dem Artikel vorausschicken wollen: Freundschaften und Beziehungen fordern uns Menschen immer im Hinblick auf die gegenseitige Verantwortung. Abbé Pierre-Hervé Grosjean verweist im dritten Teil der Serie „In Wahrheit lieben“ u.a. auf den Einluss, den Frauen durch ihr äußeres Erscheinungsbild auf Männer ausüben können. Die dabei gewählten Formulierungen lassen leicht den Eindruck entstehen, die diesbezügliche Verantwortung läge asymmetrisch auf Seiten der Frau. Dies wäre freilich ein fatales Missverständnis. Die Verantwortung für das eigene Verhalten kann nicht an das andere Geschlecht delegiert werden. Der folgenden Text von Abbé will darauf hinweisen, dass äußeres Verhalten und Kleidungsstil immer auch Ausdruck und Offenbarung der jeweiligen Persönlichkeit sind und eines verantwortungsvollen Umgangs bedürfen. Dies gilt für beide Geschlechter gleichermaßen und dispensiert einen Partner nie von seiner Selbstverantwortung (vgl. dazu die Stellungnahme in PM 139, 1/2017, S. 2).
Anspruchsvolle Freundschaften
Ich bitte Euch: Lebt in Euren Freundeskreisen anspruchsvolle Freundschaften.
Anspruchsvolle, klare und reine Mädchen
Ich fange mit den Mädchen an. Ihr kennt alle das Problem Nr. 1 von jungen Männern, und ich selber nehme mich da durchaus nicht aus. Wir sind große Schwächlinge, wir sind faul und schlapp. Wie schwer fällt es Jungen, zu schuften. Er weiß zwar, was er werden will, er möchte Pilot werden, Unternehmensberater. Aber dass er sich dafür erst mal hinsetzen muss? Maximal schwierig. Wir sind große Schwächlinge, und deswegen werde ich Euch Mädchen gegenüber jetzt sehr direkt sein: die Atmosphäre in einem Freundeskreis hängt zu 90% von Eurer Haltung ab.
Nehmt 15 Jungs in ein Schwimmbad mit einem 10-Meter-Brett. Alle haben sie Angst, das ist normal. Also will eigentlich keiner rauf. Lasst zwei oder drei Mädchen am Beckenrand sitzen – die Auswirkung sieht man schnell: Einer steht auf, dann zwei, scheinbar gelassen, dann rennt er los und macht einen wunderschönen Kopfsprung. Was heißt das? Der bloße Blick eines Mädchens ermöglicht es ihm, sich zu überwinden, seine Angst hinter sich zu lassen, seine Grenzen zu überschreiten und seine Fähigkeiten auszuschöpfen. Darum ist es in Freundeskreisen wichtig, dass Mädchen mit den Jungs anspruchsvoll sind. Wenn Mädchen in einer Gruppe verführerisch und leicht zu haben sind, dann werden die Jungs schnell und leicht fallen. Es ist nicht sonderlich schwierig, einen Jungen zu Fall zu bringen. Aber wenn die Mädchen anspruchsvoll sind, rein und klar, dann werden sich die Jungen übertreffen, werden die Kraft haben, zu warten, sich zu beherrschen, sie zu respektieren. Sie sagen es mir selber: „Herr Pfarrer, ich bin diesem Mädchen begegnet, und bei der Begegnung mit ihr war kein einziger schlechter Gedanke dabei, kein schlechter Wunsch, nichts Zweideutiges. Als ich sie kennengelernt habe, wollte ich ein anständiger Kerl sein.“ Glücklich die Jungs, die solchen Mädchen begegnen und die sich für sie entscheiden.
Liebe Mädchen, seid anspruchsvoll mit uns, indem Ihr uns zeigt, wie notwendig das Warten ist. „Marie-Helene, ich liebe dich sehr, sehr, sehr!“ – „Sag das nicht zu schnell. Mir wäre es lieber, Du würdest es nicht sagen, nähere Dich mir nicht so. Was möchtest Du? Warte! Warte! Warte! Zeig mir, dass Du stark genug bist, auf mich zu warten. Wenn Du mich wirklich liebst, dann sag es mir nicht jetzt, wir kennen uns ja noch so wenig. Zeig mir zuerst, dass Du ein gefestigter Mensch bist.“
Meine Damen, Ihr müsst wissen, dass der Kampf um die Reinheit für uns Jungs extrem schwierig ist. Es ist für einen Jungen schrecklich schwer, seine Triebe, seine Instinkte, seinen Körper zu beherrschen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie kostbar Ihr sein könnt, uns dabei zu helfen. Oft ist es das klare und reine Gesicht eines jungen Mädchens, das einem jungen Mann hilft, alles zu meiden, was ihn beschmutzt; sie wird ihm die Kraft geben, zu warten. Wie oft sage ich den Jungen, dass sie sich aufheben sollen für diejenige, die später ihre Frau werden wird, selbst wenn sie sie jetzt noch gar nicht kennen. Sie überwinden ihre Fehler, sie kämpfen und geben ihr Bestes, um ein reines Herz zu bewahren. Sie versuchen, sich aufzubewahren, um am Tag, an dem sie ihre Braut kennenlernen werden, diese Freude zu haben: „Du weißt, wie schwer es war, aber für Dich habe ich mich wieder aufgerichtet, für Dich habe ich gekämpft, für Dich wollte ich Selbstbeherrschung erlangen, Reinheit und Klarheit, die ich brauche, um Dich ehrlich zu lieben.“ Ich wünsche mir, meine Damen, dass Ihr die Klarheit unsres Lebens als Mann seid; Licht in einem oft schwierigen Kampf. Seid keine Mädchen, die leicht zu haben sind und die uns zu Fall bringen. Seid vielmehr junge Frauen, die uns helfen, Gipfel zu erklimmen, weiter zu gehen als unsere eigenen Wünsche. Mädchen, bei denen man Lust hat, gute Kerle zu sein. Das muss für Euch das wichtigste Kriterium sein: „Kann dieser Junge auf mich warten? Kann er für mich, für diejenige, die er lieben will, sauber bleiben? Kann dieser Junge für mich dafür kämpfen?“
Starke Jungs
Meine Herrn, Mädchen haben ein Problem, ein echtes Problem, es ist ein Drama: Sie sind kompliziert. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie kompliziert das Herz eines jungen Mädchens ist.
Wenn Mädchen zu mir kommen, noch mehr, wenn es um Liebesgeschichten geht, dann dauert das doppelt so lange wie bei einem Jungen. Ein Junge ist klar, selbst in der Beichte. „Ich hab Mist gebaut.“ Bei Mädchen heißt es: „Herr Pfarrer, ich muss es Ihnen erklären…“ – „Na dann leg mal los!“ und dann wird es kompliziert… Warum? Weil es im Herzen eines jungen Mädchens eine Furcht gibt, die viel Platz einnimmt. Es ist die Furcht, nicht zu gefallen, nicht geliebt zu werden. Ich kenne Mädchen mit 18 Jahren, die panische Angst haben, niemanden mehr zu finden. Kaum zu glauben. Und daher stehen junge Mädchen in der ständigen Versuchung, sich zu vergewissern: „Gefalle ich?“
Folgende Frage stelle ich oft den Mädchen: „Welchen Blick möchtest Du auslösen? Ich verstehe, dass Du es brauchst, angeschaut und bemerkt zu werden, aber welchen Blick möchtest Du auslösen? Einen begehrlichen Blick, nicht unbedingt sonderlich rein? Das ist nicht wirklich kompliziert. Oder willst Du einen klaren, bewundernden Blick?“ Ihr seht, meine Herren, dass Ihr deshalb den Mädchen helfen müsst, unkomplizierter zu sein, dass Ihr nicht Verführung von ihnen erwartet. Dass man sie braucht als einfache, klare Mädchen, die keine Spielchen treiben.
Lasst Euch nicht auf ihre Spielchen ein und treibt selber keine Spielchen mit ihnen. Ihr habt einem Mädchen aus Eurem Kurs vorgeschlagen, einen Kaffee zu trinken – einfach so: „Na, Lust auf einen Kaffee…?“ Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was jetzt passiert: Sie malt sich tausend Filmchen aus. Während der Woche bis dahin, während Eures Treffens, und zwei Wochen danach. Sie ruft ihre Freundinnen an: „Stell dir vor! Eduard hat mich eingeladen, einen Kaffee mit ihm zu trinken!!! Glaubst Du, dass…“ Dem Jungen ist das alles egal, er denkt an den Kaffee, das ist alles. Aber sie: „Glaubst Du, dass das heißt, dass, weil… Glaubst Du, es ist, weil ich das süße Top anhatte, das ich gerade bei Zara gekauft habe, glaubst Du, er hat es gesehen?“ Nein, meine Damen, es ist einfach der Kaffee. Werdet einfacher, werdet unkomplizierter.
Ich kann mich erinnern, dass ich mit Gymnasiasten auf einer Hütte war, ungefähr 15 Jungen und Mädchen, Elft- und Zwölftklässler. Lustig war der Unterschied. Die Jungs kamen mit einem Rucksack, die Mädels mit sooo einem Koffer. Alle sind gleich lang unterwegs. Und warum? Weil sich die Mädchen dreimal am Tag umziehen. Wir saßen also mit den Jungs im Wohnzimmer und sprachen vermutlich über Fußball oder Rugby. Kommt eine junge Dame die Treppe herunter, in ihrem frühnachmittäglichen Outfit: Oben ziemlich tief und unten ziemlich kurz und in der Mitte auch nicht viel, aber sehr schick. Das ist das Drama: Man kann sehr elegant sein und gleichzeitig sehr aufreizend. Sie kommt also die Treppe herunter, durchquert den Raum, setzt sich aufs Sofa zwischen zwei Jungs und legt vorsichtig ihre Hand auf das Knie des einen. Die Wirkung tritt augenblicklich ein. Das Gespräch verstummt, die Blicke der Jungs folgen dem Mädchen von A nach Z. Der arme Besitzer des Knies hält es kaum mehr aus. Das Mädchen ihrerseits wollte nur sichergehen, dass sie gefällt, dass sie ist den Anderen nicht gleichgültig ist. Aber der Junge kann nicht mehr, die Jungs können nicht mehr. Darum gilt es, sich gegenseitig zu helfen.
Ich möchte Euch, liebe Jungs, in diesem schönen Kampf um die Reinheit, wenn Ihr gerade an junge Mädchen denkt, bestärken. Unter ihnen werdet Ihr zweifelsohne Eure Frau entdecken und für sie muss man kämpfen, sich nicht entmutigen lassen. Lernen alles abzulehnen, was uns beschmutzt und schadet. Nehmt es hin, wenn man Euch als verklemmt hinstellt. Es muss uns egal sein, dass man nicht jeden Film anschaut, nicht an jedem Gespräch teilnimmt, weil man genau weiß, dass man schwach ist. Dass man über das Schöne nicht lacht, dass man das Schöne nicht beschmutzt – das wird zur Freude in unserem Leben werden. Denkt daran, meine Herren, dass sich Euer Blick eines Tages zu der wenden wird, die die Mutter Eurer Kinder sein wird, und dass an diesem Tag Euer Blick klar sein muss, dass Ihr sie nicht wie einen Gegenstand, sondern wie eine Person anschaut, wie ein liebenswertes Geheimnis.
Es ist nie zu spät
Ich möchte mit folgender Geschichte enden, die mich sehr geprägt hat, weil sie mir gezeigt hat, dass es nie zu spät ist. Ich kannte einen Jungen, gut 20 Jahre alt. Ein Junge, der das Ideal, das ich Euch gerade beschrieben habe, wirklich leben wollte. Aber wie alle Jungs war er ein großer Schwächling, wie wir alle. An einem Sonntagmorgen ruft er mich an: „Herr Pfarrer, ich habe gestern Abend beim Weggehen eine Dummheit gemacht. Am Ende des Festes – ich hatte natürlich etwas getrunken – war da ein Mädchen, das super willig war. Wir sind zusammen weggegangen und es ging ein wenig zu weit. Wir haben Dinge gemacht, die nicht wahr waren. Ich war nicht ehrlich zu ihr und ich werfe es mir schrecklich vor.“ Der Junge ist danach drei Stunden durch Paris gelaufen, um einen Priester zu finden, bei dem er beichten konnte, um es nicht auf seinem Herz zu lassen. Und so ruft er mich am Morgen an, um mir zu sagen: „Ich kann es nicht dabei belassen, jetzt wo ich die Vergebung Gottes empfangen habe, muss ich auch sie um Vergebung bitten.“ Zufällig kannte ich sie auch und er wusste es nicht. In der folgenden Woche sah ich sie; sie wusste auch nicht, dass ich ihn kannte. Wir Priester stehen ja oft an diesen Kreuzungspunkten. Und ich kann Euch sagen: sie hatte ganz und gar nicht dieselben Wertvorstellungen; ein sehr hübsches Mädchen, sehr trendy, cool und mit beeindruckender Erfolgsquote! Sie kommt also zu mir und sagt: „Pater, mein Leben hat sich diese Woche grundlegend verändert. Es begann letzten Samstag in der Disco. Ich hatte mir einen geangelt, eigentlich nichts Ungewöhnliches. Er war einverstanden, ich war einverstanden. Aber dann ist etwas passiert, was ich mir nicht hätte vorstellen können: der Junge kam drei Tage später wieder, um mich zu sehen. Und wissen Sie was, Herr Pfarrer? Er hat mich um Vergebung gebeten. Er sagt mir: Ich bitte Dich um Verzeihung, weil ich nicht wahr mit Dir war. Mit meinem Tun habe ich Dich angelogen. Ich bitte Dich um Verzeihung und flehe Dich um eine einzige Sache an: Dass Du Dich nicht mehr so leicht hingibst. Du bist zu kostbar, um Dich so leichtfertig zu verschenken…“ Das Mädchen hat mir gesagt: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so einen Jungen gibt. Darum sah ich bisher im Warten keinen Vorteil; immerhin haben wir unseren Spaß gehabt. Sie hatten Spaß mit mir, ich hatte Spaß mit ihnen. Aber jetzt weiß ich, dass es andere Jungen gibt, und sollte ich eines Tages heiraten, möchte ich so einen verdienen. Ich habe mich entschieden, aufzuhören mit allem, was ich so trieb, um einem solchen Jungen gewachsen zu sein, um auf ihn zu warten.“
Dieses Erlebnis zeigt, wie sehr eine Freundschaft jemanden retten kann. Wie sehr Ihr durch das Beispiel der Freundschaft jemandem helfen könnt, sich zu verändern und Fortschritte zu machen. Es zeigt auch, dass man sich irren kann, aber es trotzdem nie zu spät ist. Es ist nie zu schlimm, wenn man sich nur die Zeit nimmt, alles Gott zu übergeben und wieder gut zu machen.
Eine doppelt frohe Botschaft
Ich möchte mit einer geistlichen Hilfestellung schließen, die Gott uns schenkt. Gott gibt uns eine doppelte frohe Botschaft. Er sagt uns: „Nichts ist jemals verloren, was auch immer Deine Vorgeschichte ist, Deine Fehler, Deine Vergangenheit, Deine Verletzungen“. Nichts ist jemals verloren. In diesem Leben. Es ist nie zu spät, anzufangen, sich auf die Liebe vorzubereiten. Zusammen mit dem Herrn ist es nie zu spät. Vielleicht bist Du in den Augen der Anderen nicht mehr vertrauenswürdig, vielleicht wurde Dein Image in den Augen der Anderen beschmutzt, aber der Herr hat einen hohen, viel zu hohen Preis mit seinem Leben bezahlt, als dass es für Dich jemals zu spät wäre.
Die zweite frohe Botschaft, die Dir der Herr schenkt, lautet: Mit Ihm ist alles möglich. Alles, was ich Euch sage, ist super schwierig. Ich mache mir da keine Illusionen: 95%, nein 99% der Jugendlichen leben das nicht. Es ist völlig gegen den Mainstream. Aber der Herr sagt uns: „Zwar ist es ohne mich unmöglich, morgen wirst Du wieder fallen. Aber mit mir ist es möglich, das verspreche ich Dir – wie auch immer Deine Vergangenheit, Deine Verletzungen sind. Glaubst Du, dass ich es machen kann? Und darum bitte ich Dich, mir nachzufolgen.“
Möchtest Du lernen, zu lieben, ohne zu zählen? Möchtest Du lernen, treu zu sein? Dann lerne beten! Was ist Gebet? Es ist eine Schule der Treue. Warum? Es ist mühsam, zu beten. Es ist nicht leicht, es ist nicht selbstverständlich, man hat nicht immer Lust. Der Herr fragt uns: „Möchtest Du eines Tages Dein Leben hingeben? Dann beginne damit, jeden Tag treu fünf Minuten zu geben. Ohne Berechnung. Nicht, weil Du Lust darauf hast; Deine Selbstbetrachtung interessiert mich nicht, tue es für mich.“ So spricht der Herr. „Gib mir fünf Minuten am Tag. Jeden Tag! Nicht nur, wenn Du beim Weltjugendtag oder anderswo Herzklopfen dabei hast. Am Fußende Deines Bettes, abends, wenn Du müde bist, gib mir fünf Minuten.“ Du möchtest Dein Leben lang treu sein? Lerne, fünf Minuten beim Gebet treu zu sein. Es ist eine Schule der Treue. „Gib mir die Zeit, Dein Herz zu bearbeiten. Du möchtest die Ganzhingabe lernen? Komm zur Kommunion, komm in die heilige Messe.“ Was ist die Messe anderes, als eine Schule der Ganzhingabe, wenn Ihr den Herrn zu Euch sprechen hört: „Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.“ In gewissem Sinn ist es genau das, was Ihr am Tag Eurer Hochzeit Eurer Ehefrau, Eurem Ehemann sagen werdet: „Ich habe Dir Ja gesagt, ich habe Dir mein Herz geschenkt, ich schenke Dir jetzt meinen Leib.“ Darum ist die Eucharistie die beste Schule für die Ehe. Schaut, wie sehr sich der Herr schenkt. Lernt, diese Ganzhingabe zu leben und diese Ganzhingabe mit Ihm in der Intimität Eurer Seele zu empfangen. Lasst Ihn in Euer Leben kommen, damit Er herrschen kann. Nicht nur über Euer kleines geistliches Leben, sondern über Euer ganzes Leben: Euer Gefühlsleben, Berufsleben, Studentenleben, das Freundes- und Familienleben. Der Herr herrsche überall in Allem und in Jedem.
Möchtest Du lernen, wahrhaft zu sein und frei? Dann geh zur Beichte. Es ist nie ein Problem, wenn ein Junge oder ein Mädchen schwach wird. Was er oder sie auch immer angestellt hat, es ist nie zu schlimm. Aber es macht mir zu schaffen, wenn dieser Junge, dieses Mädchen nicht mehr zur Beichte geht. Denn die Beichte ist der einzige Ort, wo Ihr endlich wahr sein könnt. In Paris gibt es eine Sache, die man uns in der Erziehung gut beibringt: die Fassade. Das können wir sehr gut. Eine brillante Fassade: innerlich kann es ein Trümmerhaufen sein, äußerlich geht alles gut. Man sichert sich ab. Man ist nicht mehr wahrhaft, weil man Angst hat, jemanden zu enttäuschen. Deshalb muss es einen Ort geben, an dem man wahrhaft sein kann. Die Beichte ist diese Schule der Wahrheit. Endlich könnt Ihr Euch zeigen, nicht so wie Ihr gerne wärt, sondern so, wie Ihr tatsächlich seid. „Herr, ich komme mit meinen Schwächen, diesen Verletzungen, diesen Sünden, dieser Abhängigkeit, die ich nicht mehr loswerde.“
Und dann bitte ich Euch, meine Freunde, keine billigen Beichten. Die Beichten, in denen man nicht alles sagt oder wo man spielt, bringen nichts. „Herr Pfarrer, ich hab meine Schwester an den Haaren gezogen… ich habe nicht den Tisch gedeckt… ich habe ohne die Erlaubnis der Eltern ferngesehen.“ – „Warte mal! Stopp! Das ist Dir doch egal, Du bereust es überhaupt nicht und fängst morgen eh wieder damit an. Sei so gut und lass es weg. Komm zu den dicken Dingern, die Du seit langem mit Dir herumträgst und die Du noch nie zu sagen gewagt hast. Du kommst also zum Punkt, der Dein Innenleben seit langem quält. Du kommst zum echten Kampf. Weil Gott das erwartet. Er hat sein Blut vergossen, um Dich davon zu befreien. Rede nicht um den heißen Brei herum. Beginne mit dem, was es wirklich zu vergeben gilt. Gib es Gott und nicht, indem Du es zwar sagst, aber schnell genug, damit der Priester es hört, ohne es wirklich zu verstehen (darin sind wir alle ziemlich gut).“
Oft beichten wir oberflächlich. „Herr Pfarrer, ich habe nicht sehr katholische Sachen gemacht, und ich habe den Tisch nicht gedeckt.“ – „Warte mal, sei so gut“, (normalerweise stelle ich in der Beichte sehr wenig Fragen), „aber vielleicht musst Du hier ein wenig präziser sein, weil das schon sehr vage ist.“
„Herr Pfarrer, ich habe nicht die Nächstenliebe gelebt.“ Was heißt das? Hast Du Deine Großmutter umgebracht? Hast Du Deine kleine Schwester an den Haaren gezogen? In beiden Fällen hat es an Nächstenliebe gefehlt.
Wie soll Dich der Herr heilen, wie soll Dir der Herr vergeben, wenn Du nicht ehrlich bist, wenn Du nicht genug Vertrauen hast, um Ihm zu sagen, wie und warum Du gegen die Nächstenliebe gefehlt hast. „Herr Pfarrer, ähh, ja, mit den Mädchen läuft’s nicht so genial, es hat ein bisschen an Reinheit gefehlt.“ Das ist schnell raus. Warte, was für ein Spiel treibst Du hier? Was soll Gott denn heilen? Willst Du wirklich geheilt werden? Dann spuck alles aus. Wie ein Wasserfall. Und fürchte Dich nicht vor dem, was der Priester sagen wird. Erstens: wirst Du ihn nie schocken. Zweitens: hat er schon alles gehört. Drittens: morgen hat er es vergessen. Viertens: der Priester urteilt nicht. In zweieinhalb Jahren Priestertum habe ich alles gehört. Bis hin zum schlimmsten. Ich habe nie einen einzigen urteilenden Gedanken gehabt. Nie! Nie! Nie habe ich mir innerlich gesagt: „Na, das hätte ich mir nicht von dem erwartet!“ – „Ah, äußerlich alles sauber… aber innerlich; sag mal!“ Nie, nie, nie! Der Priester ist nicht da, um enttäuscht zu werden: er ist da, um zu verzeihen, zu lieben, zu heilen, zu trösten, aufzurichten.
Meine lieben Freunde, ein geistlicher Vater ist wie ein Bergführer, der Euch hilft, der zwar nicht an Eurer Stelle geht – das müsst Ihr selber tun – aber der Euch aufrichtet, wenn Ihr gefallen seid, der Euch den Gipfel zeigt, und sagt: „Komm schon, mein Alter, Du schaffst es, auch wenn Du zusammengebrochen bist und das Schlimmste in Deinem Leben angestellt hast, Du kannst es schaffen, Du bist und bleibst in der Lage, diesen Gipfel zu besteigen, und ich bin da, um es Dir zu sagen. Und ich bin da, um Dich daran zu hindern, Dich mit weniger zufrieden zu geben: Der Herr erwartet Dich in 3000 Meter Höhe, gib Dich nicht mit diesem kleinen Hügel zufrieden. Dein Glück ist da oben!“ Selig diejenigen, die sich die Zeit für einen geistlichen Vater, eine geistliche Begleitung nehmen. Wir sind auf Hilfe angewiesen. Ich selber erlebe es, ich habe einen geistlichen Vater, alle Priester haben eine geistliche Begleitung. Ich bin sehr fit, wenn es darum geht, Ratschläge zu geben, aber für mich persönlich bin ich unfähig, allein zurechtzukommen. Ich würde oft danebenliegen.
Ich schließe mit einem Satz von Johannes Paul II., der mich sehr geprägt hat. Ich weiß nicht, ob einige von Euch schon beim Weltjugendtag in Rom 2000 bei der Vigil am Samstagabend in Tor Vergata dabei waren. Zwei Millionen junge Menschen, eine beeindruckende Stille. Und als Johannes Paul II., der schon sehr müde war, zu sprechen beginnt, war klar, dass alle zuhörten.
Er sagte uns: „Liebe junge Leute aus Frankreich“ Was sagt er uns? Ein Popstar hätte vermutlich in etwa folgendes gesagt: „Ihr Jugendlichen, ich verstehe Euch, macht Eure Erfahrungen.“ Aber nichts da. Was also sagte Johannes Paul II.? „Ihr habt alle eine Berufung zum Martyrium. Es wird nicht mehr das Blutzeugnis der ersten Christen sein. Es wird das Martyrium der Treue sein, die gegen den Strom schwimmt.“ Das Martyrium der Treue gegen den Strom. Und um zu zeigen, dass er nicht vollkommen von der Realität abgehoben war und dass er in seinem Herzen als Papst mit 80 Jahren noch ein junges Herz hatte, nennt er drei Beispiele: „Ich denke besonders an die Jugendlichen und an die Schwierigkeit, die Reinheit unter Freunden zu pflegen. Ich denke an die Verlobten und an die Schwierigkeit, bis zur Ehe keusch zu bleiben. Ich denke an die jungen Gottgeweihten und an die Schwierigkeit, ihrer Berufung treu zu bleiben.“ Drei Martyrien, drei Formen des Martyriums gegen den Strom. Martyrium heißt gleichzeitig, dass man es richtig abkriegt, und es heißt auch: Ich gebe Zeugnis, ich bezeuge!
Deshalb wird Euch die Kirche keinen anderen Vortrag halten, als den, den ich Euch heute gehalten habe, weil Ihr in den Augen der Kirche zu wertvoll seid, weil die Familien, die Ihr in einigen Jahren gründen werdet, in den Augen der Kirche, in den Augen Gottes zu kostbar sind, als dass sie Euch anlügen oder sich mitschuldig machen könnten. Sie will Euch nach oben ziehen; sie zeigt Euch den Gipfel; sie wird die Latte nicht heruntersetzen. Sie verlangt viel von Euch, und ist gleichzeitig unendlich barmherzig, denn sie lässt Euch nicht allein. Sie nimmt sich alle Zeit, um Euch auf diesem Weg zu begleiten.
Deshalb bitte ich Euch, lebt es selbst. In Euren Freundeskreisen, in Euren Klassen, in Euren Schulen, an Euren Unis. Und löst eine Sehnsucht aus bei denen, die um Euch herum sind. Sagt ihnen, dass sie heute und jetzt die Festigkeit ihrer Ehen vorbereiten.
Ich danke Euch.
(Erschienen in PM 137, 3/2016, S. 14-17)
Link zum zweiten Teil der Serie.
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