von Annalia Machuy
Über dem Valle di Pompei geht die Sonne unter. Dort, wo einst eine reiche Römerstadt geblüht hatte, ist das Leben jetzt hart und gefährlich.
Armut und Räuberbanden, mangelnde Bildung und religiöse Unwissenheit halten die Familien, die die Gebiete am Fuß des Vesuvs und in der Nähe der Ausgrabungen bebauen, in Angst und Unsicherheit gefangen. Bartolo Longo ist 31 Jahre alt, als er im Oktober 1872 beschließt, diesen Menschen zu helfen. Der junge Advokat ist ein Mann der Extreme. Intelligent, schön und voller Leidenschaft für seine Ideale, hatte er sich als Student in abgründige Philosophien verloren und dem Spiritismus verschrieben. Nach seiner wundersamen Bekehrung fand seine Hingabe ein neues Ziel: den Willen Gottes und die Ehre seiner himmlischen Mutter. Es fügte sich, dass er die Kinder der verwitweten Gräfin Marianna De Fusco unterrichtete und sich als Rechtsanwalt um ihre Angelegenheiten und Besitztümer im Tal von Pompei kümmerte. Dort steht er jetzt, ratlos und traurig angesichts des großen materiellen und geistigen Elends der Gegend, in den letzten Sonnenstrahlen des Tages, die alles in goldenes Licht tauchen. Da kommt ihm, wie Ida Lüthold-Minder in ihrem Buch „Die Rosenkrankönigin von Pompei und ihr Advokat Bartolo Longo“ (1981) schreibt, „auf einmal der glückliche Gedanke, wie das Dunkel der Menschen durch die Gnade in Licht verwandelt werden könnte“ und er spürt deutlich den inneren Ruf: „Wenn Maria hier gekannt und verehrt wird, verwandelt sich das Tal der Finsternis in ein Paradies. Hier muss der Rosenkranz verbreitet werden.“
Es bleiben zwei Konstanten seines Lebens: die feste Überzeugung, dass die Gnade alles zum Guten wenden kann, und das Vertrauen auf Maria und die Kraft des Rosenkranzgebetes als große Vermittler dieser Gnade. Bartolo Longo beginnt unter vielen Schwierigkeiten, die Liebe zur Gottesmutter und dem Rosenkranzgebet im Valle di Pompei zu verbreiten. In der armen Dorfkirche will er der Königin des heiligen Rosenkranzes einen Altar errichten, doch der Bischof ermutigt ihn zum Bau eines großen Heiligtums. Sofort macht sich Longo auf die Suche nach einem geeigneten Marienbild. Wer heute in der wunderschönen Basilika in Pompei zu Füßen der Rosenkranzkönigin kniet, ahnt wohl kaum die Geschichte dieses Gemäldes. Hoch oben über dem Altar, eingefasst in einen kunstvollen Rahmen, der die mittlerweile 20 Rosenkranzgeheimnisse darstellt, erwartet es täglich die unzähligen Beter und Besucher. Die Gesichtszüge sind durch die Entfernung kaum zu erkennen und doch wird man seltsam berührt von der Güte und Wärme, die es ausstrahlt. Die ersten Reaktionen auf das Gnadenbild von Pompei waren jedoch gänzlich anders. „Man könnte meinen, es sei dazu gemalt worden, dass man jede Andacht verliere“, zitiert Lüthold-Minder eine mit Longo bekannte Gräfin. Das Bild war tatsächlich von sehr schlechter künstlerischer Qualität und außerdem stark beschädigt. Ein befreundeter Priester hatte es einmal auf dem Trödel erworben und dem Advokaten mit dem Hinweis geschenkt, dass es für die Leute von Pompei wohl genügen würde. Ein frommer Mönch sollte es einst gemalt haben. Mehr aus Höflichkeit und Geldmangel als aus Überzeugung, aber doch im festen Glauben, dass dieses Bild einmal großen Segen bringen wird, nimmt Longo es an, lässt es ein erstes Mal restaurieren und in Pompei aufstellen. Und tatsächlich: „Alte kamen, Kinder kamen, Väter und Mütter beteten davor, alles kleine und arme Menschen, die ihre Madonna um Hilfe anflehten und ihr oft eine Kerze brachten. Sie spürten, dass die Muttergottes durch das armselige Bild auf sie schaute. Sie wurden getröstet, sie wurden erhört“, beschreibt Lüthold-Minder die aufflammende Verehrung des Gnadenbildes. Schon am ersten Tag ereignet sich ein aufsehenerregendes Heilungswunder, zahlreiche weitere Gebetserhörungen und Heilungen folgen. Auf eines dieser Wunder geht die sogenannte pompejische Novene zurück. Einer schwer kranken jungen Frau war Maria erschienen und hatte ihr mit folgenden Worten Hilfe versprochen: „Kind, du hast mich unter verschiedenen Titeln angerufen und von mir immer Gnaden erlangt. Jetzt, da du mich unter dem mir so wohlgefälligen Titel der Königin des heiligen Rosenkranzes angerufen hast, kann ich dir die gewünschte Gnade nicht länger versagen, weil mir dieser Name vor allen lieb und teuer ist. Halte drei neuntägige Andachten und du wirst alles erlangen“. Später sagte sie: „Wer immer Gnaden von mir erbitten will, halte drei Novenen mit dem Gebet des Rosenkranzes und drei Novenen zur Danksagung.“ Die Kranke wurde geheilt und der Ruf der Rosenkranzkönigin von Pompei verbreitete sich ebenso wie die wunderbare Novene immer weiter. 54 Tage an der Hand Mariens können nicht ohne Folgen bleiben und so gilt die Novene zur Königin des heiligen Rosenkranzes von Pompei als sichere Hilfe in allen Anliegen.
Bartolo Longos Einsatz für Maria und den Rosenkranz weitet sich immer mehr aus. Schon 1876 hatte er eine Rosenkranzbruderschaft gegründet, es folgten eine eigene Zeitschrift und Waisenhäuser, unter anderem für die Söhne und Töchter von Strafgefangenen, ja sogar eine kleine „Stadt Mariens“. Genau 11 Jahre nach der Grundsteinlegung kann am 8. Mai 1887 schließlich das Heiligtum feierlich und mit dem Segen Papst Leos XIII., der das Werk Longos sehr schätzt und fördert, eingeweiht werden. Zum zweiten Mal geschieht dabei eine wundersame Veränderung mit dem einst so unschönen Gnadenbild. 1879 bereits hatte der berühmte Kunstmaler Federico Maldarelli angeboten, das Gemälde noch einmal zu restaurieren, was ihm trotz großer Schwierigkeiten und für ihn selbst unerklärlich außerordentlich gut gelang. Am Tag der Einweihung scheint sich das Bild nun noch einmal zu verändern: Es „fing an, eine geistige Schönheit und Liebe auszustrahlen, die man bisher nicht gesehen hatte“. Bartolo Longo ist überzeugt, „dass Maria selbst wunderbarerweise ihr Antlitz verklärt hat“.
Die Gnaden, die Maria mit dem Gebet des heiligen Rosenkranzes verknüpft und bereits dem heiligen Dominikus verheißen hatte, fließen auch heute noch in Pompei und überall dort, wo der Rosenkranz gebetet wird. Das zeigt auch das Beispiel des nigerianischen Bischofs Doeme. 2014 war Christus ihm in einer Vision erschienen und hatte ihm im Blick auf die Unterdrückung durch Boko Haram ein Schwert überreicht, das sich in einen Rosenkranz verwandelte. Es ist das große Gebet für den Frieden und es wird, so sagte Doeme, „uns letztendlich den Sieg über das Böse geben“.
Der große „Apostel des Rosenkranzes“, Bartolo Longo, wurde 1980 von Johannes Paul II. seliggesprochen. Viel können wir von diesem „marianischen Mann“, wie ihn der Papst bezeichnete, lernen: einen „schlichten, heroischen Glauben“, begeisterte und ausdauernde Tatkraft, „unerschütterlichen Mut“, Bescheidenheit und Gehorsam, Ergebung in den Willen Gottes, liebevolles Dienen. Vor allem aber ist es die Liebe zu Maria und zum Rosenkranz, die ihn auszeichnet. „Heilige, hochverehrte Mutter, zu dir bringe ich all meinen Kummer, auf dich setze ich alle Hoffnung, alles Vertrauen!“, betete er und zeigt auch uns damit einen Weg und eine Hoffnung, wie all unser Dunkel durch die Hände Mariens ins Licht der Gnade verwandelt werden kann.
(Erschienen in PM 147 4-2019, S. 3-4)
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