Fatima und der himmlische Appell zur Sühne

Mittelalterliches Relikt oder besonderes Privileg?

von P. Markus Christoph

1917 – 2017. Vor 100 Jahren erschien Maria in Fatima drei Hirtenkindern. Ihre Botschaft lässt sich mit wenigen Worten zusammenfassen: Sühne, Sühne, Sühne. Immer wieder bittet sie die Seherkinder: „Betet und opfert zur Sühne für die Sünden der Menschen.“ Aber ist das heute noch zeitgemäß? Oder steckt hinter dem Sühnegedanken nicht die überholte Vorstellung, Gott müsse durch menschliche Werke erst besänftigt werden?

In drei Schritten soll gezeigt werden, dass der Aufruf Mariens zur Sühne ein ganz besonders schöner Aspekt unseres christlichen Glaubens ist.

1. Göttliche Pädagogik

Nicht alles im Alltag ist angenehm. Es gibt in unserem Leben Mühsal und Anstrengung. Nach Auskunft der Bibel war das nicht immer so:  Gott hat die Welt paradiesisch erschaffen. Erst durch den Sündenfall kam Leid in die Welt. – Die Sünde des Menschen hat die von Gott erschaffene gute Ordnung grob gestört. Die Liebe und Größe Gottes aber zeigt sich besonders darin, dass er das Elend und die Folgen der Sünde zu unserem Heil nutzen kann. Ja, Gott verfolgt damit so etwas wie eine Strategie, er will uns vor einer ganz großen Versuchung bewahren: Durch Mühsal und Leiden will er verhindern, dass sich der Mensch mit irdischem Glück begnügt. Gott will in uns die Sehnsucht nach etwas Größerem wachhalten, denn unsere Berufung besteht nicht darin, dass wir uns hier auf Erden recht und schlecht einrichten, sondern im unvorstellbaren Glück der Gemeinschaft mit GOTT („…was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat…“ 1 Kor 2,9). Jedes Kreuz in unserem Leben lässt Gott zu, um uns zu erinnern: Hier auf Erden bist du Pilger, unterwegs zu etwas Größerem. Jedes Leid, aber auch jedes Problem (!) wird sinnvoll, wenn wir es aus dieser Perspektive betrachten.

2. Gott leidet mit uns

Gott hat uns mit dieser wichtig(st)en Lektion nicht allein gelassen. Er selbst ist Mensch geworden und hat sich in das Leid dieser Welt hineinbegeben – in der höchsten Form am Kreuz – um uns nicht nur eine theoretische Lösung zu geben, sondern um uns durch sein Beispiel den richtigen Umgang mit Leiden zu lehren. Darum hat er mit uns und für uns gelitten. Wie die Erlösung von unseren Sünden am Kreuz genau funktioniert, ist eine komplizierte theologische Frage. Eine Sache aber ist einfach und klar: Am Kreuz hat Jesus seine grenzenlose Liebe zu uns offenbart und bewiesen. Er hat sein Sterben am Kreuz nicht nur passiv über sich ergehen lassen (wie einen versehentlichen Unfall), sondern er hat es bewusst angenommen, es aktiv in eine Tat der Liebe umgewandelt und damit dem Leiden einen neuen Sinn gegeben. Die Größe dieser absoluten Liebestat Jesu hängt dabei nicht davon ab, ob die Erlösung von allen Menschen angenommen wird. Zwar ist und bleibt seine Liebe am Kreuz ein machtvoller Appell, dass wir uns der Gnade der Erlösung öffnen, aber der Wert seiner Liebe am Kreuz wird nicht dadurch gemindert, das wir manchmal in unseren Herzen verschlossen bleiben.

3. Aus Liebe mitleiden

Was Jesus in der Fülle seines Leidens am Kreuz getan hat, dazu ist jeder Einzelne von uns eingeladen, ihm nachzufolgen: Uns in das Leid unserer Mitmenschen hineinzubegeben und es in einen Akt der Liebe umzuwandeln. Ein Beispiel: Ein Freund hat beim letzten Stammtisch seine Kameraden provoziert und liegt nun mit einem blauen Auge im Krankenhaus. Indem ich ihn besuche, teile ich sein Leid (das er selber verschuldet hat), trage seine Leiden mit (das Opfer meiner Zeit), das ich in einen Akt der Liebe verwandle. Im besten Fall rührt mein liebendes Mitleiden sein Herz, er bereut seine Dummheit und indet durch meinen Einsatz zur Liebe zurück. Doch selbst ohne diesen Erfolg bleibt mein Mitleiden in dieser Situation sinnvoll: Es hat in der Welt die Liebe vermehrt, die zuvor durch die Provokation verletzt wurde. Mein Mitleiden hat einen Ausgleich geschaffen. Genau das ist Sühne: Die freiwillige Opferbereitschaft aus Liebe zu einem Mitmenschen, um den anderen im Herzen zu berühren, um ihm einen Weg zu zeigen, wie Leiden in Liebe verwandelt wird, wie die Welt, die durch die Sünde verletzt wurde, durch Leiden wiederhergestellt werden kann. Diese Art des liebenden Mitleidens und Sühnens ist sinnvoll und wertvoll, selbst wenn der Nächste nicht unmittelbar davon etwas weiß.

Fazit: Sühne als besonderes Privileg. Ist der Gedanke von „Sühne“ im 21. Jahrhundert überholt? Machen wir als Gedankenexperiment die Gegenprobe: Können wir uns eine Welt vorstellen, in der es keine Möglichkeit gibt, sein Mitgefühl für das Leid eines Mitmenschen auszudrücken, in dessen Leid einzutreten, es mit ihm zu teilen und damit in einen Akt der Liebe zu verwandeln? Vielleicht ist eine solche Welt denkmöglich, aber es wäre eine Welt der Einsamkeit, der Isolation, der Hartherzigkeit und Verneinung von Freundschaft, kurz: Die Hölle. Gott hat nicht nur selbst unser Leiden mit uns geteilt, sondern auch uns die Möglichkeit gegeben, nach seinem Vorbild durch liebevolles Mitleiden mit Menschen an deren Erlösung mitzuarbeiten. Nichts anderes meint „Sühne“. Es ist ein besonderes Privileg, zu dem uns Gott berufen hat und an das die Menschheit von Maria in Fatima erinnert wurde. Die drei Hirtenkinder sind ihrem Ruf gefolgt. Tun wir es ihnen an Großherzigkeit und Liebe gleich.

Maria in Fatima

13. Mai 1917: „Wollt ihr euch Gott anbieten, alle Leiden zu ertragen, die Er euch schicken will, als Zeichen der Wiedergutmachung für die Sünden, durch die Er beleidigt wird und als Bitte für die Bekehrung der Sünder? … Ihr werdet viel zu leiden haben.“

13. Juli 1917: „Opfert euch für die Sünder und sagt oft, besonders wenn ihr Opfer bringt: „O Jesus, das tue ich aus Liebe zu dir, für die Bekehrung der Sünder und zur Sühne für die Sünden gegen das Unbeleckte Herz Mariens.“

13. August 1917: „Betet viel und bringt Opfer für die Sünder, denn viele Seelen kommen in die Hölle, weil niemand für sie opfert und betet.“

13. September 1917: „Gott ist mit euren Opfern zufrieden, aber er will nicht, dass ihr mit dem Bußstrick schlaft. Tragt ihn nur tagsüber.“

(Erschienen in PM 1/2017, S. 3-4)

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