Chemielabor im Käferleib
Bis zum 24. Mai 2021 läuft das „Laudato-Si-Jahr“, das Papst Franziskus ausgerufen hat. In dieser Zeit sollen wir uns aus der Perspektive des christlichen Glaubens besonders mit ökologischen Fragen auseinandersetzen. Dazu gehört auch das Staunen über die „Wunder“ der Schöpfung. Um zu staunen, muss man gar nicht Dinosaurier, Wale, Elefanten oder sonstige exotische XXL-Tiere bemühen. Es gibt genügend unscheinbare, aber unglaubliche Tierchen voller Genialität direkt vor unserer Haustüre. Zum Beispiel den ganz normalen, „langweiligen“ Bombardierkäfer, von dem es allein in Europa 51 Unterarten gibt.
Man kann ihn an sonnigen Stellen entdecken, meist unter Steinen verborgen. Aber wehe, jemand stört seine Ruhe. Dann kann es plötzlich knallen und puffen, weil das aufgeschreckte Tier richtige Salven auf den vermeintlichen Angreifer abfeuert. Der Hinterleib des Käfers stößt eine stechend riechende Gaswolke aus, die als feiner, bläulicher Dunst sichtbar wird. Selbst auf der menschlichen Haut verursacht die Mixtur einen spürbaren Schmerz. Andere Käfer, Ameisen, ja sogar hungrige Kröten werden damit erfolgreich in die Flucht geschlagen.
Für seine Abwehrstrategie braucht der Käfer eine raffiniert ausgeklügelte „Chemiefabrik“ mit mehreren, sorgfältig voneinander getrennten Laboratorien, die aber dennoch gezielt zusammenarbeiten müssen, um die erfolgreiche Explosionsmischung herzustellen. Im Hinterleib des nur einen halben Zentimeter langen, rostbraunen Käfers sind zwei solcher „Gasfabriken“ verbaut. Jede besteht aus einer Drüse, deren Ausgangsrohr in ein großes Reservoir mündet. Der Verschluss dieses Reservoirs wird durch einen eigenen Muskel gesteuert. Sein Inhalt, ein gut dosiertes Gemisch aus mehreren komplizierten chemischen Stoffen (Hydrochinon, Methyl-Hydrochinon und Wasserstoff-Peroxid), strömt in eine besonders dickwandige „Brennkammer“. Sie wird von einer Schicht aus Drüsenzellen umhüllt, die ihre Sekrete, ein Gemisch aus den Enzymen Katalase und Peroxidase, durch winzige Poren in die Kammern absondern. Dort wird eine explosionsartig ablaufende chemische Reaktion ausgelöst, bei der nicht nur ätzende Verbindungen (Chinone genannt) entstehen, sondern gleichzeitig Sauerstoff freigesetzt wird. Der Gasdruck presst den chemischen Kampfstoff, dessen Temperatur durch die heftige Reaktion ca. hundert Grad erreicht, aus den Öffnungen, die am Ende des Hinterleibes liegen.
Es lohnt sich, einmal zusammenzurechnen, wie viele verschiedene Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit die gewünschte Wirkung zustande kommt: Die Drüse muss mehrere unterschiedliche, komplizierte chemische Verbindungen herstellen, in säuberlich getrennten Abschnitten ihres Gewebes, vergleichbar mit selbständigen Laboratorien einer Chemiefabrik. Die Substanzen müssen im richtigen Verhältnis miteinander gemischt werden, mit einer Genauigkeit, die der Arbeit eines geprüften Apothekers keineswegs nachsteht. Außerdem muss ein in seiner Größe genau auf seine Funktion abgestimmtes Reservoir genau an der richtigen Stelle gebildet werden, dessen Ventil es ermöglicht, die sorgfältig dosierten Mengen in die Explosionskammer einzuspritzen. Ein Zuviel des Gemisches würde einen Überdruck erzeugen, der den Käfer selbst in die Luft sprengen würde, mit einer Bombe vergleichbar, die bereits in den Händen des Attentäters hochgeht. Erst in der Explosionskammer, keinen Sekundenbruchteil zu früh, werden – wiederum in der richtigen Menge – jene Substanzen aus den Wanddrüsen zugesetzt, die das Verpuffen auslösen. Die schon erwähnte besonders dicke Wand muss zudem feuerfest sein, eine Bedingung, die sonst kein tierisches oder pflanzliches Gewebe erfüllt. Schließlich muss auch der Instinkt des kleinen Käfers, also das „Verhaltensprogramm“, das in seinem winzigen Gehirn gespeichert ist, minutiös auf diese komplizierte Apparatur abgestimmt sein. Es stellt eine Art „angeborene Gebrauchsanleitung“ dar, denn keines der Tiere muss erst lernen, wie es durch entsprechendes Krümmen und Aufrichten seines Hinterleibes den Explosionsstrahl gezielt gegen den Angreifer zu richten hat. Das Faszinierende am Bombardierkäfer ist: Sein Waffensystem funktioniert nur, wenn alle einzelnen Bauteile genau aufeinander abgestimmt sind. Solange nicht ein Teil ins andere greift, ist der ganze Mechanismus unbrauchbar und hat keinerlei Mehrwert für das Überleben des Käfers. Die Komplexität der ganzen Anlage ist beeindruckend. Ein kleines Zeichen der Genialität des Schöpfers.

Damit kein Missverständnis entsteht: Der Bombardierkäfer ist kein Argument gegen eine Höherentwicklung und Evolution der Natur. Es steht außer Frage, dass vor dem „Explosionskäfer“ einfachere Lebensformen standen, und dass nach ihm noch komplexere Arten aufgetreten sind. Aber er lässt uns ahnen, dass hinter der ganzen Höherentwicklung, die die Evolutionstheorie beschreibt, nicht nur der blinde Zufall, sondern ein genialer Geist steht. Ein Schöpfergott. An diesen Punkt hat Papst Benedikt in seiner Rede im Bundestag (2011) die Abgeordneten erinnert: „Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“ Das war nicht gegen die Evolutionstheorie gemeint. Aber für einen genialen Schöpfergott. Im gleichen Sinn erklärt Papst Franziskus in seiner Umweltenzyklika: „Die Natur wird gewöhnlich als ein System verstanden, das man analysiert, versteht und handhabt, doch die Schöpfung kann nur als ein Geschenk begriffen werden, das aus der offenen Hand des Vaters aller Dinge hervorgeht, als eine Wirklichkeit, die durch die Liebe erleuchtet wird.“ (Laudato si Nr. 76) Die Schöpfung als Geschenk der Liebe. Selbst wenn es mal knallt und explodiert 🙂
Quelle: Wolfgang Kuhn , Schöpfung – oder alles nur Zufall, 1998, S.41-45
( Erschienen in PM 153 4-2020, S. 14 – 15)
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