Familienhilfseinsatz in Alba Julia

von Anita Rieger

„Juhu, wir fliegen in den Urlaub!“, jubeln die Kinder. „Wohin denn?“, wollen sie alle wissen. „Nach Rumänien, zu meiner Freundin Sr. Jacinta (ehemals Ursula Hechinger)!“

„Wo liegt denn Rumänien? Kann man da baden?“, prasseln die Fragen auf uns ein. Wir erklären den Kindern, dass dies ein anderer Urlaub wird, als sonst. Wir wollen dort gemeinsam als Familie 10 Tage mithelfen. Sr. Jacinta arbeitet in Alba Iulia in einem Altenheim und hat jede Menge Vorschläge, wie wir ihr unter die Arme greifen können. Leider müssen wir ein paar Wochen vor dem Urlaub nochmal umplanen. Papa muss krankheitsbedingt mit den zwei kleineren Kindern zu Hause bleiben. Aber dafür springt Oma ein!

Endlich ist es soweit. Die Pfingstferien sind da und unser „Urlaub“ kann beginnen. Am Flughafen kommen mir unzählige Gedanken: Ist es richtig zwei junge Mädchen (8 und 9 Jahre) für 10 Tage in ein rumänisches Altenheim mitzunehmen? Lauter alte Leute, Krankheit, Not,…! Bekommen sie da nicht einen „Knacks“ fürs Leben? Vielleicht stecken sie sich irgendwo an? Kann ich ihnen das zumuten? Bräuchten sie nicht eher einen Urlaub am Strand mit Spielplatz,…? – Zu spät! Auf dem Flug-Ticket steht Cluj – Rumänien. Nein, eine Möglichkeit habe ich noch, um sicher zu gehen, dass alles gut läuft: Ich lege einfach die ganze Reise in Gottes Hände und vertraue ihm, dass er alles zum Guten führt.

In Alba Iulia angekommen, werden wir ganz herzlich von Sr. Jacinta begrüßt.  Nach einer hl. Messe mit P. Franz-Josef und einem gemeinsamen Abendessen, führt uns Sr. Jacinta in „ihr Altenheim“. Sie hat eine „Familie“ mit 43 Männern und Frauen. Von Vollpflegebedürftigen, über Schizophrene, geistig und  körperlich behinderten Menschen bis hin zu Ex-Alkoholikern ist alles dabei. Mein erster Gedanke: Ok, 10 Tage gehen ja schnell vorbei… . Die Mädchen schauen die Senioren etwas kritisch an, melden aber kein Unbehagen. Unser erster Tag beginnt mit Duschen. Alle 43 Leute werden 1x in der Woche  geduscht. Die Fitten können es alleine, aber den meisten muss man behilflich sein. Ich habe die Aufgabe, die Senioren aus- und anzuziehen damit es zügig geht, da es sonst zu lange dauert, bis wieder warmes Wasser aus der Leitung kommt (wir sind in Rumänien!). Als ich G. ausziehe, bemerke ich erschrocken, dass er am ganzen Körper einen Ausschlag hat. Sr. Jacinta erklärt mir, dass er Schuppenflechte hat und keiner weiß, woher. Mir schießt ein Gedanke in den Kopf: Voriges Wochenende hatte ich im Wochenendlager meinen Wölflingen die Geschichte der Hl. Elisabeth v. Thüringen vorgelesen. Sie hatte, als sie keinen Platz mehr in ihren Krankenbetten hatte, einen Aussätzigen in ihr Ehebett gelegt. Als ihr Mann es erfuhr, wollte er nachschauen und als er in die Kammer trat, sah er den gekreuzigten Heiland in seinem Bett liegen. In einem Buch liest sich das sehr leicht, ich war voller Bewunderung. Würde ich das auch machen? In dieser Situation? Jetzt? Aber ich habe doch Verantwortung für meine Kinder, meinen Mann… Tausend Ausreden fallen mir ein. In diesem Moment ist mir klarer denn je, warum es Sinn macht, dass Priester und Ordensleute ohne Familie leben. Denn nur so können sie sich wirklich ganz hingeben und für Jesus leben.

Später schneiden wir gemeinsam mit den Mädchen den ganzen Pfefferminz ab. Nun liegt ein riesiger Haufen Pfefferminz vor uns. Mit kritischem Blick fragen die Mädchen: „ So, und wer zupft jetzt die ganzen Blätter ab??“ Sr. Jacinta nimmt den Haufen, legt ihn auf die Terrasse und stellt ein paar Stühle rundherum. Plötzlich kommen schwatzend die ganzen Omis und zupfen bei einem Kaffeeklatsch ruck zuck alle Blättchen ab. „Das ist unsere Beschäftigungstherapie“, erklärt uns Sr. Jacinta. Ich bin begeistert, wie gut dieses Familienleben hier funktioniert. Das muss ich mir unbedingt für meinen Alltag zu Hause merken! Man meint oft, alles alleine schaffen zu müssen. Aber gemeinsam ist jede Arbeit viel schöner und natürlich geht’s auch schneller. Und das Beste ist: Zum Schluss hat man mehr Zeit. Zeit für den Anderen! Trauen wir unseren Kindern einfach ein bisschen mehr zu und legen wir unseren Perfektionismus ein wenig zur Seite.

Den deutschen Perfektionismus müssen wir in diesen 10 Tagen sowieso zur Seite legen. Immer wieder kommen mir Gedanken, wie: „Warum gibt’s hier keinen Staubsauger? Da würden die Zimmer viel sauberer werden, als mit dem Besen. Warum bauen sie hier keine Spülmaschine ein? Das würde viel Zeit sparen. Also, in Deutschland würde man die Kirschen, die so hoch oben im Baum hängen, einfach hängen lassen… !“ Wenn ich meine Gedanken dann ausspreche, werde ich von Sr. Jacinta wieder runtergeholt: „Wir sind hier in Rumänien, da darf man nicht ‚Deutsch denken!‘ Hier heißt es improvisieren und sparen!“ Und wir sind immer wieder beeindruckt, wie kreativ die Menschen hier sind: Ein ausrangiertes Krankenbett als Esstisch auf der Terrasse, ein Bettenrost als Gartentüre oder Gartenzaun,… aufgehoben wird auf jeden Fall alles, vielleicht kann man es ja irgendwo mal brauchen! Doch trotz dieser, für unsere Gefühle, einfachen Lebensverhältnisse, gibt es viele Bewohner, die in ihrem bisherigen Leben nie in solchem „Luxus“ gelebt haben, wie hier im Altenheim. Die meisten Menschen auf dem Land haben kein fließendes Wasser, kein Auto und nur ein Plumpsklo neben ihrem Haus. Und so putzen sich manche Senioren hier auch manchmal (wie sie es eben sonst auch gewohnt waren) mit Zeitungspapier ab… dass dieses Klo dadurch jedoch verstopft, ist ihnen fremd. So ist eben nicht immer das, was wir als das „Beste“ deklarieren, auch das Beste für die jeweilige Situation! Denn es geht ja auch anders!

Trotzdem fragen wir uns jeden Tag auf’s Neue, wie Sr. Jacinta und ihre Helferinnen die tägliche Arbeit schaffen?! 30 Bewohner morgens und abends waschen, bei 15 Senioren 2-3-mal täglich die Windeln wechseln, bzw. oft auch das ganze Bett frisch beziehen, 3-mal am Tag 43 Essen und Trinken verteilen, 8 Leuten das Essen eingeben, Geschirr wieder einsammeln, spülen (ohne Spülmaschine), abtrocknen, manchmal Mittagessen kochen, täglich das ganze Haus kehren, wischen und 7 Bäder putzen, Wäsche waschen, aufhängen und wieder zusammenlegen, den großen Gemüsegarten anpflanzen, gießen und pflegen, Wunden versorgen, Medizin verteilen, Arztbesuche machen und nebenbei noch Kirschen, Johannisbeeren, Erdbeeren, Äpfel, Birnen,… pflücken und diese zu Marmelade, Saft und Kompott verarbeiten und das alles mit einem Lächeln auf dem Gesicht und einem lieben Wort für jeden Einzelnen. Sr. Jacinta, unsere ‚Schwäbische Mutter Theresa‘, meint: „Das schafft man nicht aus eigener Kraft! Das geht nur, wenn man in der täglichen Hl. Messe ‚auftanken‘ kann und in seinem Mitmenschen Jesus sehen kann.“ Dies sage ich auch zu meiner 8-jährigen Tochter, als sie mir einmal mit kritischem Blick zu-schaut, wie ich einer bettlägerigen Oma das Mittagessen eingebe. „Weißt du, ich stelle mir einfach vor, dass in diesem Bett Jesus liegt und Hunger hat.“ Einige Tage später fragt sie mich, ob sie auch einmal einer Oma das Essen geben darf… und es klappt wunderbar!

Glücklicherweise hat es der Himmel so gefügt, dass gerade bei unserem Aufenthalt die meisten Kirschen reif sind. Und so können wir jeden Tag helfen, von den 7 riesigen Kirschbäumen im Garten die Kirschen zu pflücken, entsteinen und daraus Marmelade kochen, Kuchen backen, Kompott machen,… . Und überall wo es Arbeit gibt, ist M. zur Stelle, eine kleine 85jährige Oma mit Kopftuch. Ihr einziges Handicap: Sie hört fast nichts mehr und hat keine Zähne mehr, aber arbeiten tut sie für 10! Die Mädchen haben sie zu ihrer Lieblingsoma gekürt und sind den ganzen Tag mit ihr unterwegs. Egal ob beim Johannisbeeren Pflücken, beim Kirschen Entsteinen, Unkraut Zupfen oder Holz Stapeln, mit M. macht jede Arbeit  10-mal so viel Spaß! Sie verstehen sich blendend, trotz Schwerhörigkeit und verschiedener Sprachen. Sie lachen und tanzen miteinander, dass es eine wahre Freude ist. Und nicht nur einmal kommt die Frage: „Können wir die kleine M. mit nach Hause nehmen? Die ist sooo süüüß!“ Dies macht mich einfach nur glücklich, da ich nun weiß, dass meine anfänglichen Zweifel völlig unbegründet waren. Wir Erwachsenen denken einfach oft zu viel und die Kinder gehen ganz unbekümmert und vorbehaltlos mit solchen Situationen um. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…“ (Mt,18,3) . Wir danken Gott, dass er alles zum Guten geführt hat und uns viele wertvolle Erfahrungen geschenkt hat. Wir sind hier in eine ganz besondere Familie hineingewachsen und der Abschied fällt uns sowie auch den Altenheimbewohnern schwer. Und so planen die Kinder schon bei der Heimreise unseren nächsten Rumänien Urlaub: „Also ich werde dann den A. füttern, weil der sagt immer: ‚Gut! Das schmeckt gut!‘ “

Auf der Heimreise in die „andere Welt“ haben wir Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen. Wir sind uns einig: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Mt,9,37).

Sr. Jacinta und Sr. Maria brauchen tatkräftige Unterstützung in Schule, Kindergarten und Altenheim! Fühlst du dich berufen für 10 Tage, für 3 Monate oder für ein Jahr? Ganz egal! Geh hin und mach es wie die Kinder: unbekümmert, vorbehaltlos und voll Vertrauen!

(Erschienen in PM 140 2-2017, S. 14-16)

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