von Nina Hoenig
„What are you going to do in Israel?” – so lautete die erste Frage, nachdem wir am Flughafen in Tel Aviv den Boden des Heiligen Landes, unseres diesjährigen Fahrtenlandes an Pfingsten, betreten hatten. Wir antworteten schlicht „We are going to do a pilgrimage from Nazareth to Jerusalem.“ und durften passieren. Geschafft! Später sollte sich herausstellen, dass die Ausreise wesentlich komplizierter sein sollte. Doch von vorne. Was wollten wir 20 Raiderinnen und Ranger aus allen Teilen Deutschlands (und Österreichs) denn nun wirklich in Israel? Klar, eine Pilgerfahrt, das stimmte schon. Aber was erwarteten wir uns davon? Wie immer auf Fahrt, brachte jeder persönliche Anliegen mit, doch was uns wohl alle verband, war die Hoffnung, unsere Beziehung zu Jesus vertiefen zu können, indem wir die Orte besuchen, an denen Jesus lebte und wirkte. Indem wir auf SEINEN Spuren wandeln und IHN dadurch besser kennenlernen. Indem wir uns an diesen Orten ganz Jesus anvertrauen. Und indem wir in Zukunft lebendige Bilder vor Augen haben werden, wann immer wir in der Bibel lesen. Gleichzeitig wollten wir uns selbst ein reales, nicht medial geprägtes Bild vom Heiligen Land, dessen Kultur und politischer Situation machen. Rückwirkend betrachtet wurden unsere Erwartungen mehr als erfüllt. Alle Erlebnisse finden hier keinen Platz, aber einige einprägsame lassen sich in zwei Kategorien unterteilen.
Auf den Spuren Jesu
Wir gingen bei unserer Pilgerfahrt recht chronologisch vor und so startete unsere Reise im gecharterten Reisebus nach Nazareth. Bus im Heiligen Land ist jedoch nicht gleich Bus in Deutschland und so blieben wir zwischenzeitlich mitten auf der Straße liegen. Trotzdem kamen wir rechtzeitig in Nazareth an, um die erste Heilige Messe mit unserem Fahrtenkuraten P. Stefan feiern zu können, bevor wir an der wunderschönen Lichterprozession an der Verkündigungskirche teilnahmen. Hier sprach Maria ihr „Fiat!“, ihr „Ja“ zu Gottes wunderbarem Plan für sie. Wie passend, dass dies unsere erste Station im Heiligen Land war: Auf Fahrt können wir immer besonders offen für Gottes Stimme sein, und so konnten wir diese Fahrt ganz bewusst nach dem Vorbild der Mutter Gottes in Seine Hände legen und mit unserem „Fiat“ die „Urlaubsplanung dem Heiligen Geist übergeben“, wie es P. Stefan in seiner ersten Predigt ausdrückte.
Am nächsten Tag ging´s zum Berg der Seligpreisungen. Sich gedanklich 2000 Jahre zurückzuversetzen und vorzustellen, unter einem Baum sitzend wirklich Jesus zu lauschen, war einmalig. Mit unserer ersten Wassermelone gestärkt machten wir uns an den Abstieg zum See Genezareth. Hier berief Jesus seine ersten Jünger und er ruft auch uns heute, Ihm nachzufolgen und Seine Jünger in Wort und Tat zu sein. Jesus baute Seine Kirche auf Petrus als deren Fels, obwohl dieser nicht immer der „perfekte“ Jünger war, und genauso baut er heute auf uns, obwohl wir nicht immer perfekt sind. Die Idylle des Sees verzauberte uns sehr – besonders früh morgens bei vollkommener Ruhe. Da fiel es uns leicht, P. Stefans Gedanke zu folgen, dass jede duftende Blüte, jeder kleine Grashalm, jedes funkelnde Steinchen im See eine Liebesbekundung Gottes an uns ist und wir diese Augenblicke genießen sollen – auch und besonders zurück im Alltag.
Noch ein kurzer Aufenthalt in Tabgha und später in Nablus beim Jakobsbrunnen, dann starteten wir zu Fuß auf dem Abrahams Path quer durch Palästina Richtung Jericho. Mit unserem Rucksack auf den Schultern stapften wir durch die heißen, trockenen und staubigen Gebiete und immer wieder durch kleine Dörfer. So muss sich Jesus damals gefühlt haben. Besonders in Zeiten der Stille spürte ich, wie froh es mich machte, quasi Jesu Fußstapfen zu folgen und mich von Ihm führen zu lassen. Immer wieder hatte ich das Gefühl, Jesus würde auf geheimnisvolle Art mitten unter uns auf diesem Weg gehen. Diese einfachen Erfahrungen brachten mich Ihm ein gutes Stück näher. Einige Male geriet ich dabei ins Betrachten. Zum Beispiel, als wir am Berg der Versuchung vorbei liefen und ich mir vorstellte, dass Jesus nach einem einem langen Fußmarsch durch die Wüste – hungrig, durstig, erschöpft wie wir – dennoch den Versuchungen widerstand. Hätte ich das gekonnt?
Wir wanderten weiter auf den Spuren Jesu und spürten stets deutlich Gottes wunderbare Führung. Zum Beispiel bekamen wir in jedem Dorf immer wieder verschiedene Erfrischungen geschenkt, worüber wir uns sehr freuten, da wir die Hitze nicht gewohnt waren. Oder einmal malten wir uns in unseren Träumen sogar einen Swimmingpool zur Abkühlung aus, wohl wissend, dass das ein Traum bleiben wird. Doch siehe da: abends hatten wir eine schöne Unterkunft – mit Pool! Für Gott ist eben nichts unmöglich.
Weitere Höhepunkte waren am Ende unserer Fahrt durch das Bilderbuch zur Bibel Bethlehem und Jerusalem. Wie ergreifend war es doch, als wir „Stille Nacht“ in der Geburtsgrotte sangen und dort wenigstens für einen kurzen Augenblick Ruhe einkehrte. Oder als wir in einer Steinkapelle in der Geburtskirche eine Hl. Messe mit Weihnachtsliedern feierten. Aber das wohl tiefgehendste Erlebnis war die Nacht in der Grabeskirche. Von 21 – 24 Uhr waren wir eingeschlossen und konnten in Stille und betend auf Golgotha und vor dem Heiligen Grab verweilen. Wie besonders diese Stunden waren, begriffen wir spätestens am folgenden Tag, als wir am Ende des Kreuzweges wieder in der Grabeskirche standen: Es ging sehr menschenvoll, hektisch und laut zu. Unweigerlich kam uns der Gedanke, wie Jesus die Menschen aus dem Tempel warf – uns drängte es förmlich danach.
Begegnungen: Kultur und Konflikt im Hl. Land
Nicht nur die vielen berührenden Glaubenserfahrungen prägten unsere Zeit im Hl. Land, sondern auch das Kennenlernen der Kultur des Landes und des schon langanhaltenden politischen Konflikts. Beispielsweise konnten wir, neben vielen schönen Momenten und einer idyllischen Abendrunde am See von Galiläa, dort auch ein Stück Landeskultur kennenlernen: Beim Besuch einer Quelle sahen wir, wie
Picknick dort funktioniert: Mann packt Klappstuhl und -tisch, Shisha, gutes Essen und viel Trinken ein, setzt sich mitten ins schienbeinhohe Wasser und genießt den Tag.
Unsere ganze Fahrt war wie keine andere durchzogen von unzähligen Begegnungen. Es verging kein Tag, an dem wir nicht beim Passieren eines Dorfes von Kindern umgeben waren, mit denen wir spielten, und von Erwachsenen, die uns gekühltes Wasser, Tee und/oder Wassermelone brachten. Neben diesen kleinen gab es mehrere „große“ Begegnungen.
Bei unserem Ausgangsort zum Abraham‘s Path im Westjordanland lernten wir direkt einen gastfreundlichen jungen Muslim kennen, der uns seine Dachterrasse für die Nacht zur Verfügung stellte und auch für die folgende Nacht eine Unterkunft für uns organisierte. Von ihm erfuhren wir einiges über die konkreten Auswirkungen des Israel-Palästina-Konflikts. Seinen Pass, der von den Israelis mit hebräischer Schrift versehen wurde, konnte er dadurch selbst nicht lesen. Auf offener Straße scheinbar grundlos von Israelis angeschossen ging er außerdem auf Krücken. Er freute sich riesig über unsere Wanderstecken, die wir ihm zum Dank schenkten. Er begleitete uns noch ein Stück auf unserem Weg und „feierte“ mit uns die Hl. Messe: Er saß ruhig daneben, zur Wandlung jedoch stand er auf und war fasziniert vom Geschehen am Altar – als würde er spüren, dass hier gerade etwas Wunderbares geschieht.
Die letzte Etappe des Abraham‘s Path führte uns eine Schlucht hinauf. Um zu vermeiden, dass wir diesen Aufstieg in der Mittagshitze laufen mussten, begannen wir unseren Tag um 4 Uhr und liefen zum Sonnenaufgang, der die Landschaft in malerisches Licht tauchte. Der Aufstieg war auch so mühsam genug und wir waren umso erfreuter, als wir oben angekommen einen gelben Schulbus erblickten, der uns die nächsten Tage immer wieder von A nach B bringen sollte. Ziel war nun Taybeh, das biblische Ephraim – mit der einzigen Brauerei in ganz Palästina. Der melkitische Pater, Father Jack, nahm uns herzlich auf, führte uns im Dorf herum und erweiterte unser Wissen über den Nahostkonflikt immens. Stundenlang erzählte er beim Abendessen mit frischem Hummus und Falafel. Immer wieder bat er uns inständig, für den Frieden zu beten. Wir hatten bis dato viele Eindrücke gesammelt und auch in uns wuchs die Überzeugung, dass nur Gott Frieden im Heiligen Land bringen kann. Zu viel Feindschaft scheint zwischen Israelis und Palästinensern zu stehen. Zu viele Unstimmigkeiten scheinen aber auch zwischen den Konfessionen zu herrschen. Nicht nur zwischen Moslems und Christen, sondern auch zwischen den christlichen Konfessionen untereinander. Sehr eindrücklich war das später in der Grabeskirche zu sehen: Die Schlüssel hat eine muslimische Familie. Abends gibt es ein festgelegtes Schließungsritual, bei dem jede Konfession einen festgelegten Teil ausführen darf. Und morgens, als wir die Hl. Messe auf Golgotha feierten, schien jede Konfession ihren Gottesdienst möglichst noch lauter als der Nachbar zu feiern.
Für ein Wochenende trennten wir unsere große Gruppe in drei kleine Runden. Auch hier entstanden spannende Begegnungen. Die eine Gruppe lernte messianische Juden und deren Gottesdienst kennen. Die zweite Gruppe besuchte das Friedensprojekt „Tent of nations“ und staunte nicht schlecht, was deren Gründer trotz Hindernissen auf die Beine stellen. Die dritte Gruppe verrichtete einen sozialen Dienst im Waisenhaus und traf griechisch-katholische Pfadfinderinnen in Bethlehem, welche uns ihre Erlebnisse mit der Mauer und ihre Sichtweise zum Konflikt im Hl. Land schilderten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern für uns allgegenwärtig spürbar war. Immer wieder waren Umwege nötig, da Straßen gesperrt waren oder Wasserquellen von Israelis besetzt worden waren. Immer wieder wurde uns über die Schuld der anderen Seite erzählt. Immer wieder wurden wir – vorwiegend von Israelis – gefragt, auf wessen Seite wir seien. – Interessant, wenn wir bei uns selbst überlegen, ob wir in persönlichen Konflikten im Kleinen manchmal ähnlich re-agieren? Eine Annäherung scheint nicht möglich. Wobei wir sogar eine Gemeinsamkeit entdeckt haben, die aufgrund unserer Geschichte eigentlich erstaunlich ist: Beide Seiten waren freudig offen, wenn wir sagten, dass wir Deutsche seien. Dennoch gilt: Beten, beten, beten. Denn wahrscheinlich kann nur Gott in diesem gespaltenen Land Frieden bringen – für Ihn ist nichts unmöglich.
Nervenaufreibend war schließlich die Ausreise. Scheinbar willkürlich wurden einige von uns mehr kontrolliert als andere, mussten an dieser oder jener Stelle in der Sicherheitskontrolle 20 Minuten warten oder hätten deswegen sogar beinahe den Flieger verpasst. Ein Vergleich mit den Palästinensern, denen oft willkürlich Straßen und Wasser gesperrt werden und die hilflos alles über sich ergehen lassen müssen, kam uns in den Sinn. Immer wieder die Frage: „What did you do in Israel?“ Tja, wenn wir da angefangen hätten zu erzählen, was für Erlebnisse und persönliche Erkenntnisse jeder Einzelne wirklich mitgenommen hat, stünden wir wohl heute noch da. Wir kamen schlussendlich alle mit unzähligen ideellen Geschenken im Rucksack sowie mehr als übertroffenen Erwartungen zurück und werden wohl nicht nur jeden Sonntag beim Evangelium daran zurückdenken. DEO GRATIAS für all diese wunderschönen Erlebnisse im Hl. Land!
( Erschienen in PM 149 4-2019, S. 16-19)
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