von Dompfarrer i.R. Guido Becker
Gerne hätte ich ihn „Zigeuner unserer Lieben Frau“ genannt, aber das Wort „Zigeuner“ darf man heutzutage – weil angeblich diskriminierend – nicht mehr verwenden. Dabei kommt das Wort vermutlich aus dem Persischen und bedeutet „Musiker“. Und Andreas Hönisch war ein begabter Musiker. Wer ihn an der Orgel oder als Dirigent des Singekreises noch erlebt hat, wird das bestätigen. Johann Sebastian Bach, dessen Fan er war, wünschte und hoffte er im Himmel zu begegnen.
Und die Bezeichnung „Zigeuner“, wie man früher die durch die Lande fahrenden Roma und Sinti nannte, trifft durchaus auf ihn zu. Mit dem Unterschied, dass Pater Andreas nicht mit einem vor dem Planwagen gespannten Pferdchen, sondern mit seinem Audi mit 40 Pferdestärken unterwegs war, um Pfadfinderstämme zu besuchen, Exerzitien, Sühnenächte und Singekreisproben zu halten. Monatlich war er über tausend Kilometer unterwegs. Bei seinen feurigen Predigten konnte es nicht passieren, dass ein Zuhörer einschlief, wie es die Apostelgeschichte 20,9 berichtet, wonach ein Jugendlicher auf der Fensterbank sitzend einnickte, als Paulus bis spät in die Nacht predigte. Pater Andreas gelang es, die geistlich Schläfrigen mit seiner vom Pianissimo zum Fortissimo wechselnden, funkensprühenden Rhetorik wachzurütteln.
Er war ein mitreißender Prediger. Sein Feuer sprang auf die Zuhörer über. Einige seiner Predigten sind ja auf CD im Originalton auch für Spätgeborene noch zu hören. Für diejenigen, die Pater Hönisch nur noch vom Hörensagen kennen, soll hier einiges dem Vergessen entrissen werden.
Andreas Hönisch kam am 3. Oktober 1930 in Habelschwerdt zur Welt. Es liegt in Schlesien. Man findet es nicht mehr auf der Landkarte, denn es trägt heute einen polnischen Namen. Nach dem Ausgang des zweiten Weltkrieges war Polen als Ersatz für die von den Sowjets im Osten annektierten Gebiete Schlesien zugesprochen und die deutsche Bevölkerung vertrieben worden.
Die Volksschule besuchte Andreas in Langenau, Grafschaft Glatz. Das Gebiet gehörte ehemals zu Österreich, wurde aber von dem „Ungeheuer in Berlin“, wie Kaiserin Maria Theresia den preußischen König, Friedrich II. – den „alten Fritz“ – nannte, den Österreichern entrissen. Man spürte immer einen gewissen Stolz, wenn Pater Andreas auf seine ursprünglich österreichische Heimat zu sprechen kam.
Beim Einmarsch der sowjetischen Truppen 1945 versteckte eine Ordensfrau den Fünfzehnjährigen im Beichtstuhl der Kirche, damit er nicht – wie andere Zivilisten in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit entführt wurde. Vielleicht stammte die Leidenschaft, mit der Pater Andreas Beichte hörte, neben seinem Seelsorgeeifer auch diesem Jugenderlebnis, dass er drei Tage im Beichtstuhl versteckt, dem Los seiner Landsleute entronnen war.
Nach Kriegsende schlug sich Andreas Hönisch in den Westen durch und konnte im Aloisiuskolleg der Jesuiten in Bad Godesberg seine Gymnasialausbildung vollenden. Nach dem Abitur trat er 1952 in den Jesuitenorden ein. Sein Noviziat absolvierte er im Kloster Jakobsberg bei Bingen. Zu seiner Ausbildung gehörte auch ein zeitweiliges Praktikum im Binger St. Rochus Krankenhaus. Die philosophischen Studien absolvierte er in Pullach bei München. Weitere Stationen waren Manila, wo er seine englischen Sprachkenntnisse vervollkommnen sollte. Anschließend besuchte er die Sprachschule in Yokosuka in Japan, dozierte zwei Monate lang Englisch und Deutsch an der von den Jesuiten geleiteten Sophia-Universität in Tokio.
Gesundheitliche Gründe zwangen ihn zur Rückkehr nach Deutschland, wo er an der Jesuitenhochschule in Sankt Georgen bei Frankfurt von 1960 bis 1964 Theologie studierte. Vom Berliner Erzbischof Kardinal Bengsch empfing Andreas Hönisch 1963 die Priesterweihe. Nach dem Terziat, das er in Paray-le-Monial 1964/65 als dritte bei den Jesuiten üblichen Ausbildungsphase hinter sich brachte, wurde er zunächst als Religionslehrer an das Rathenau-Gymnasium nach Berlin berufen. Anschließend war er 1966-1977 Kaplan in der von den Jesuiten geleiteten Pfarrei St. Albertus in Gießen und Religionslehrer in Langen (Hessen).
In Maria Sternbach bei Wickstadt (Oberhessen) hielt er immer die Fatima-Tage mit einer Lichterprozession unter Beteiligung zahlreicher Gläubigen. Zeitlebens zeichnete Andreas Hönisch eine innige Verehrung der Gottesmutter aus, die er auch den Jugendlichen mit der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens – entsprechend der Botschaft von Fatima – vermittelte.
Manches im Wesen und Leben des Priesters Andreas Hönisch gemahnt an den Apostel Paulus. Zum Beispiel sein rastloser apostolischer Einsatz. Ständig war er unterwegs zu Pfadfindergruppen, Elternabenden, Vorträgen, Sühnenächten, Singekreisproben usw. – ein „Zigeunerleben“ im Dienste dessen, der ihn zum Priester berufen hatte. Was ihn vor allem trieb, war die Sorge um die Jugend, die in den vergangenen Jahrzehnten dem Sog unchristlichen Lebensstils ausgesetzt war.
Andreas Hönisch gründete 1976 zusammen mit Günther Walter die Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE).
Es gehörte Mut dazu – damals und in den kommenden Jahren bis dato – in Deutschland die päpstliche Lehre zu vertreten. Wer gegen den Playboystil und die Verhütungsmentalität, die Porno- und Abtreibungsgesellschaft antrat, stand auf einsamem Posten. Und es gehörte Mut dazu, immer wieder vor einer hessischen Abtreibungsklinik Gebetswachen zu halten.
Pater Hönisch war von Natur aus kein „Streithansel“, aber er fühlte sich verpflichtet, die aus seiner Sicht gefährlichen Tendenzen und glaubensschädlichen Vorgänge anzuprangern. Er hielt es für unverantwortlich, die „Schweigespirale“ zu verstärken.
Im Pfadfindertum sah P. Hönisch ein Erziehungsprogramm, das junge Menschen im natürlichen Bereich herausfordert und die Abenteuerlust im guten Sinn befriedigt. Auch mit dem Singe- und Instrumentalkreis ging es ihm darum, die musischen Anlagen zu fördern, den Geschmack an klassischer Musik zu vermitteln und so die jungen Menschen immun zu machen gegen die Dekadenz diverser Musikrichtungen.
Die Abenteuerlust führte ihn mit Pfadfindergruppen nach Nordafrika in die Sahara und in die Rocky Mountains (USA), mit dem Singekreis fuhr er bis nach St. Petersburg.
P. Hönisch sah auch eine seelsorgerische Aufgabe darin, dem Abenteuerdrang der Jugend eine natürliche Alternative zu bieten und in jugendlichen Gemütern das Gespür für das Schöne zu wecken, gerade auch durch geistliche Musik das Herz für Gott, den Urquell aller Schönheit, zu öffnen. Der alljährliche Bundessingewettstreit sollte immer wieder Ansporn sein und Kreativität auf den verschiedenen Altersstufen wecken. Die Früchte dieser Jugendarbeit sind nicht zu übersehen: zahlreiche geistliche Berufungen zum Priestertum und Ordensberufe unter den Mädchen. Nicht zu verschweigen sind die aus der KPE hervorgegangenen christlichen Ehen und Familien. Fundament für all das war die Anleitung zu einer gesunden Frömmigkeitspraxis, fernab von Bigotterie und Frömmelei. P. Hönisch ging es um ein echtes Katholisch-Sein, zu dem die Religiosität als das Natürlichste von der Welt dazu gehört.
Es waren Seminaristen aus der KPE die sich an Pater Hönisch als ihren Bundeskuraten gewandt haben mit dem Ansinnen, eine Ordensgemeinschaft zu gründen, in der sie den unverkürzten und unverfälschten katholischen Glauben leben und Priester werden konnten. Pater Hönisch fühlte sich nicht zum Ordensgründer berufen, zumal sein Herz auch weiterhin am Jesuitenorden hing.
Mit Hilfe von Dr. Ingo Dollinger erfolgte 1988 unter dem Wohlwollen von Kardinal Ratzinger und der Schirmherrschaft von Bischof Joseph Stimpfle (Augsburg) die Gründung der Gemeinschaft der Diener Jesu und Mariens (Servi Jesu et Mariae SJM) als katholische Ordensgemeinschaft. Die Spiritualität der neuen Gemeinschaft war die bewährte Spiritualität des heiligen Ignatius von Loyola. Neben zahlreichen verschiedenen Seelsorgearbeiten sollten vor allem die Exerzitien und die Jugendarbeit Schwerpunkte ihres Wirkens sein.
Am 16. Juli 1994 wurde die SJM als Kongregation päpstlichen Rechtes anerkannt und Pater Andreas Hönisch zum ersten Generaloberen bestimmt. Dieses Amt hat er bis zu seinem Hinscheiden ausgeübt.
Gemäß ihren Statuten feiert die Kongregation der SJM die heilige Eucharistie sowohl gemäß dem nachkonziliaren Messbuch Papst Pauls VI. als auch nach dem vorkonziliaren Missale von 1962. Zwei Beweggründe sind dafür maßgebend:
1. Die Liebe zur Kirche, die uns die Feier der heiligen Eucharistie in der Form des neuen Messbuches zu treuen Händen anvertraut hat, und die vom Papst bis zum jüngsten Priester weltweit so zelebriert wird.
2. Die Liebe zu den Gläubigen, sowohl denen, die sich der traditionellen Messe verbunden fühlen, als auch zu denen, die in der nach dem II. Vatikanischen Konzil geschaffenen Form der hl. Messe herangewachsen sind.
Darum feiern die Priester der SJM die heilige Eucharistie in der Form, die der jeweiligen seelsorgerischen Situation angemessen ist. Dem entsprechend werden auch in der SJM sowohl der gregorianische Choral als auch das deutsche Kirchenlied gepflegt.
Am 25. Januar 2008 berief dann der Herr seinen rastlosen Diener und Jugendseelsorger, der seine geliebte schlesische Heimat verloren hatte, in die himmlische Heimat ab. Die Pfadfinderkohte durfte er gegen das „ewige Haus im Himmel“ (vgl. 2. Kor 5,1) eintauschen. Seine letzte Ruhestätte findet er auf dem Friedhof von Blindenmarkt (Niederösterreich).
An P. Hönischs Grab sangen die Pfadfinder der KPE auch das von Klampfen, Mandolinen und Geigen begleitete Lied:
„Es will das Licht des Tages scheiden, Nacht bricht still herein. Ach könnt doch auch des Herzens Leiden schon vergangen sein. /: Ave Maria, Ave Maria, Ave, Ave Maria! :/
2. Ich leg ́ mein Flehen dir zu Füßen, trag ́s vor Gottes Thron, Und lass , Madonna, lass dich grüßen, mit dem frommen Ton: /: Ave Maria, Ave Maria, Ave, Ave Maria! :/
3. Es will das Licht des Lebens scheiden, Todesnacht bricht an. Die Seele will die Schwingen breiten, Ewigkeit fängt an. /: Ave Maria… :/
4. Ich leg ́, Maria, in deine Hände letztes, heißes Flehn. Erbitte mir ein gläubig Ende, selig Auferstehn . /: Ave Maria… :/ (Winnetou III/Karl May)
Es ist das Winnetou-Lied von Karl May, der auch zu denen gehörte, die P. Hönisch im Himmel zu treffen wünschte! Soweit war die Spannweite – von Johann Sebastian Bach bis zu Karl May!
(Erschienen in PM 142 1-2018, S. 8-10)
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