Gedanken von Papst Franziskus zum Thema „Strafe“
von P. Markus Chrsitoph
Papst Franziskus und das Thema Strafe
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie sich Menschen einen strafenden Gott vorstellen: Gott als…
1. …Sadist: Gott straft, weil er sich freut, wenn Menschen leiden.
2. …Choleriker: Gott straft, weil Menschen ihn zum Zorn gereizt haben, den er so stillen kann.
3. …Gekränkter: Gott straft, weil Menschen ihn beleidigt haben und er uns jetzt beweist, wer in Wirklichkeit „Chef“ ist.
4. …Ungeduldiger: Gott straft, weil er nach 2000 Jahren mit seiner Geduld und Langmut am Ende ist.
5. …Resignierter: Gott straft, weil sich die Menschen einfach nicht bekehren, solange er nur „liebt“; darum lässt er uns zur Abwechslung seine Gerechtigkeit spüren.
6. …Gleichgültiger: Gott straft, indem er den Menschen aufgegeben hat; er hat sein Interesse an der Menschheit verloren und überlässt uns einem blinden Schicksal
Wer auf eine dieser sechs Weisen die Corona-Krise oder irgendeine Katastrophe als „Strafe Gottes“ bezeichnet, zeigt damit, dass er nicht viel vom christlichen oder biblischen Gottesbild verstanden hat. Gott ist kein gekränkter Herrscher, der seine Geduld verloren hat, der zurückschlägt oder sich freut, indem er Menschen unter dem Vorwand einer Strafe leiden lässt. Erzbischof Ludwig Schick aus Bamberg erklärt in diesem Sinn: „Corona als Strafe Gottes zu bezeichnen, ist zynisch und mit Jesu Botschaft unvereinbar.“
Im nachsynodalen Schreiben Amoris Laetitia hat uns Papst Franziskus gezeigt, dass man „Strafe“ auch in einem anderen, positiven Sinn verstehen kann. In einem eigenen Kapitel zum Thema Erziehung schreibt der Papst mehrere Absätze über den „Wert der Strafe als Ansporn“. Dort heißt es: „Zudem ist es unerlässlich, das Kind oder den Heranwachsenden zu sensibilisieren, damit er merkt, dass die schlechten Taten Folgen haben. Man muss die Fähigkeit wecken, sich in die Lage des anderen zu versetzen und sein Leiden schmerzlich zu empfinden, wenn man ihm wehgetan hat. Einige Strafen – für unsoziales, aggressives Verhalten – können diesen Zweck teilweise erfüllen. Es ist wichtig, das Kind mit Nachdruck dazu zu erziehen, um Verzeihung zu bitten und den Schaden, den es anderen zugefügt hat, wieder gutzumachen.“ (AL 268) Können Eltern ihre Kinder also aus Liebe strafen? Oder umgekehrt: Könnte es lieblos sein, wenn Eltern unsoziales Verhalten ihrer Kinder einfach folgenlos hinnehmen? Die Antwort des Papstes ist eindeutig: Fehlverhalten von Kindern grundsätzlich ohne Konsequenzen zu tolerieren, ist nicht Ausdruck von Liebe, sondern von Gleichgültigkeit. „Ein liebevoll zurechtgewiesenes Kind fühlt sich beachtet, nimmt wahr, dass es jemand ist, und merkt, dass seine Eltern seine Möglichkeiten anerkennen.“ (AL 269)
Das Neue Testament und das Thema Strafe
In der Bibel offenbart sich uns Gott als Vater, der uns bedingungslos liebt. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – beschreibt das Neue Testament (!) Gott auch als strafenden Gott. Im Hebräerbrief heißt es sehr direkt: „Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist! Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet! Gott behandelt euch wie Söhne.“ (Hebr. 12,5-7) Die Bibel kann hier unmöglich an einen strafenden Gott im eingangs beschriebenen Sinn denken; an einen Gott, der sich wie ein sadistischer, cholerischer, gekränkter, ungeduldiger, resignierter, gleichgültiger Tyrann verhält. Nein. Wir dürfen in Gott unseren Vater erkennen. Daran lässt das Neue Testament keinen Zweifel. Wenn wir die Bibel also ernst nehmen, muss es zusätzlich zu den sechs Bedeutungen von „Strafe Gottes“ einen weiteren Sinn geben: (7) Gott „straft“ als liebender Vater aus Fürsorge und Wohlwollen. Für die eingangs beschriebenen sechs Bedeutungen hat Erzbischof Schick recht: So straft Gott nie! Aber im siebten Sinn von Papst Franziskus wäre es geradezu „unväterlich“, würde Gott unser Handeln in Gleichgültigkeit immer ohne Folgen lassen.
„Gott wird keine Türe aufbrechen, um einzutreten.
Vielleicht schickt er einen Sturm um das Haus; der Wind seiner Warnung mag
Türen und Fenster sprengen, ja das Haus in seinen Fundamenten erschüttern;
aber er kommt nicht dann, nicht so. Die Türe muss von freiwilliger Hand geöffnet
werden, bevor der Fuß der Liebe über die Schwelle tritt. Gott wartet, bis die
Türe von innen aufgeht. Jeder Sturm ist nur ein Angriff der belagernden Liebe.
Der Schrecken Gottes ist nur die Kehrseite seiner Liebe; es ist Liebe draußen,
die innen sein möchte – Liebe, die weiß, das Haus ist kein Haus, nur ein Ort,
solange Er nicht eintritt.“ (George MacDonald)
Ein Klopfen an unsere Herzenstüre
Gottes Motiv in seinem Handeln ist immer seine Liebe zu uns. Auch wenn er als guter Vater Dinge zulässt, die uns wachrütteln sollen. Es ist sein Klopfen an unserer Herzenstüre, damit wir für ihn öffnen. Damit ist nun nicht gesagt, jeder Sturm unseres Lebens sei immer von Gott direkt geschickt. Vermutlich lässt uns Gott oft einfach die natürlichen Folgen unseres eigenen Handelns spüren. „Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns selbst bestrafen, wenn wir uns nicht an den Lebensweisungen Gottes orientieren?“, fragt Bischof Voderholzer in seiner Osterpredigt. In vielen Fällen besteht die beste Pädagogik der Eltern darin, dass sie ihre Kinder die Folgen ihres Fehlverhaltens selber erfahren lassen – Max hat eine Brandblase am Finger, weil er trotz der mütterlichen Warnung auf den heißen Herd gefasst hat. Papst Franziskus sieht hier eine heilsame Strafe, die von Papa und Mama zugelassen wird – und nach dem Hebräerbrief verhält sich Gott wie ein guter Papa.
Wer in diesem siebten Sinn die Corona-Krise als ein Wachrütteln Gottes versteht, trifft damit – streng genommen – eine zutiefst positive Aussage über Gott: Es ist Gott nicht egal, wie sich die Menschheit entwickelt. Er sorgt sich um uns. Wir sind ihm nicht gleichgültig. Er sucht nach Wegen, uns auf Probleme aufmerksam zu machen, vor denen wir wie kleine Kinder nur zu gern die Augen verschließen. Daher dürfen wir uns die Frage stellen: Was will mir Gott mit dieser Krise sagen? Eine umfassende Deutung der Coronakrise auf Grundlage unserer oft persönlich und menschlich beeinflussten Beweggründe gilt es zu meiden. Gott ist Gott und denkt weiter als unser menschlicher Ansatz es vermag.
Von „Strafe Gottes“ im siebten Sinn zu sprechen, bedeutet nichts anderes, als dass Gott auch in diesem Moment das Geschick der Welt in Händen hält. Kurzfristig ist „Strafe“ immer etwas Negatives, aber sie ist nichts Sinnloses, nichts Zufälliges, nichts Willkürliches, sondern soll uns ein größeres Gut ermöglichen. Welches Gut? Gott weiß es. Wir können nur Vermutungen anstellen, wie z.B. Bischof Oster, der in einem Interview zu bedenken gab: „Ich hoffe sehr, dass wir alle oder viele von uns diese schwierige Zeit wirklich als eine Zeit der Gnade begreifen und uns von ihr im Glauben berühren und verwandeln lassen. Und ja, hoffentlich eröffnet das uns allen einen neuen Blick auf das, was wirklich zentral ist. Oder schlicht: auf den Herrn.“
Eines aber geht gar nicht
Als Christ müssen wir bei Katastrophen nicht den Mut verlieren, ja, wir dürfen (!) sie als „Strafe“ ansehen, als „Strafe“ im siebten Sinn, die Gott für irgendetwas Gutes zulässt. Allerdings können wir in aller Regel die Auslöser für solche Zulassungen nicht zuverlässig bestimmen. Dazu fehlt uns der Blickwinkel. „Ist Corona eine Strafe für den moralischen Niedergang der Gesellschaft?“ „Ist Corona eine Strafe für die Verweltlichung der Kirche?“ Halt! Stopp! Jede konkrete Schuldzuweisung müssen wir uns strikt verbieten. Gott kennt die Gründe. Wir nicht. Wir wissen lediglich, dass Gott uns durch jede Krise wachrütteln will. Gerade wenn wir eine Situation gar nicht mehr verstehen und mit dem Warum hadern, müssen wir uns ganz bewusst daran erinnern, dass uns der göttliche Blickwinkel nicht geschenkt ist.
Im Johannesevangelium begegnet Jesus einem Blindgeborenen. Da „fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde? [Die Jünger fragten nach der Ursache der Strafe.] Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.“ (Joh 9,1-3) Die Vermutungen der Jünger gehen in die völlig falsche Richtung. Den Blindgeborenen traf keine Schuld, aber Gott hatte einen faszinierenden Plan für ihn. Gott hat ihn auch für uns. Darauf können wir vertrauen. Und auf diesem Fundament gilt es in Krisenzeiten, unser Leben auf Gott auszurichten.
Und damit sind wir wieder bei Erzbischof Schick. „Corona als Strafe Gottes zu bezeichnen, ist zynisch.“ Solange wir im heute üblichen Sinn von „Strafe“ reden, ist der Ausdruck „Strafe Gottes“ nicht zutreffend. Aber am siebten Sinn von Strafe, an den uns Papst Franziskus erinnert, dürfen wir in Coronazeiten die Liebe Gottes vielleicht auf eine neue Art entdecken.
( Erschienen in PM 150 1-2020, S. 9 – 10)
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