Chancen und Gefahren von Pompejischen Novenen
von P. Markus Christoph
„Wer das folgende Gebet zu Ehren des heiligen Apostels Judas Thaddäus an neun aufeinander folgenden Tagen betet, wird garantiert erhört.“ Es gibt eine Unzahl von Novenen, die eine sichere Erhörung versprechen, nach dem Motto: Je unbekannter ein Heiliger, je ausgefallener der Gebetstext, je länger das Novenengebet, desto zuverlässiger der Erfolg. Fördern solche Novenen nicht eine falsche Vorstellung von Gott? Behandelt man Gott nicht wie einen Automaten, der bitteschön pünktlich das gewünschte Ergebnis ausspuckt, wenn man nur den passenden Fürsprecher wählt oder die richtige Formel spricht? Oder sobald genügend „Gebetsmünzen“ eingeworfen sind?
Bittnovenen können in diesem Sinn missverstanden werden, als wäre Gott ein Chef, den man durch geschickte Tricks für eigene Wünsche manipulieren kann. Vielleicht steht die pompejische Novene mit ihrem umfangreichen Gebetspensum sogar besonders in Ge-fahr, diese falsche Haltung zu fördern: Drei Bitt-Novenen hintereinander, also 27 Tage, mit je drei Rosenkränzen pro Tag, und anschließend nochmals drei Dank-Novenen, also weitere 27 Tage, mit wiederum drei Rosenkränzen. Plus das Novenengebet. Es geht um einen beträchtlichen Einsatz. Wer die 54 Tage treu durchhält, hat sich – so scheint es – die Erhörung durch die Muttergottes redlich verdient. Aber funktioniert so christliches Gebet?
Der heilige Papst Johannes Paul II. schrieb 2002: „Gerne mache ich mir die berührenden Worte zu eigen, mit welchen er [der sel. Bartolo Longo, Gründer des Heiligtums in Pompeji] die berühmte Bitte an die Königin des Heiligen Rosenkranzes beschließt: »O Rosenkranz, gesegnet von Maria, süße Kette, die uns an Gott bindet, Band der Liebe, das uns mit den Engeln vereint, Turm des Heiles gegen die Angriffe der Hölle, sicherer Hafen im allgemeinen Schiffbruch, dich lassen wir nie mehr los. Du, unsere Stärke in der Stunde des Todes. Dir gilt der letzte Kuss unseres Lebens, wenn wir sterben. Der letzte Gruß unserer Lippen sei dein holder Name, o Königin des Rosenkranzes von Pompeji! O gute Mutter, du Zuflucht der Sünder, erhabene Trösterin der Betrübten, sei überall gepriesen, heute und immer im Himmel und auf Erden!«“ (Johannes Paul II., Rosario Virginis Mariae, Nr. 44)
Nein, nein, nein! Aber der mögliche Missbrauch schließt einen guten Gebrauch nicht aus. Novenen können auch segensreich wirken. Sie können ein wunderbares Hilfsmittel sein, im persönlichen Vertrauen auf den Herrn, zu seiner Mutter und den Heiligen zu wachsen. Folgendes Beispiel mag helfen, den eigentlichen Sinn der pompejischen Novene zu klären.
Das Privileg des Meisterkurses
Mit etwas Geschick und Ausdauer kann sich jeder das Orgelspielen selber beibringen. Für bestimmte Feinheiten der Technik ist ein Lehrer hilfreich. Und je besser der Lehrer, desto schneller der Fortschritt. Berühmte Organisten bieten für Nachwuchstalente „Meisterkurse“ an. Den zugelassenen Teilnehmern erlauben die Konzertorganisten dann Einblick in ihr persönliches Herangehen an die große Orgelliteratur. Im Rahmen solcher Kurse diskutieren Meister und Schüler Feinheiten und Nuancen des musikalischen Ausdrucks, erproben verschiedene Möglichkeiten des Instruments und tauschen die ei-genen Erfahrungen aus. Für Schüler sind solche Kurse keine Zeiten des bloß passiven Zuhörens, sondern Phasen des intensiven Übens, aktiven Ausprobierens und kreativen Interpretierens. Erst so wachsen sie in das musikalische Talent ihres Meisters hinein. Die Teilnahme am Meisterkurs ist ein besonderes Privileg, aber auch ein Zeichen der Wertschätzung von Seiten des Schülers (!) gegenüber einem bestimmten Organisten, den man damit als seinen Meister anerkennt, was z.B. durch die investierte Übungszeit zum Ausdruck kommt.
Eine Pompejische Novene ist ein Meisterkurs in der Schule Mariens
Die Entscheidung, eine Pompejische Novene zu beten, lässt sich mit der Bewerbung für einen Meisterkurs vergleichen. Der Beter erkennt Maria als Meisterin an, der er die Lösung des eigenen Anliegens zutraut. Die Zeit, die man in die Novene investiert, dient nicht der Anhäufung von „Gebetskapital“, um sich die Erfüllung der eigenen Wünsche zu verdienen – bei einem Meisterkurs will man vom Meister nichts verdienen. Die Gebetszeit entspricht eher der Übungszeit, die man am Instrument verbringt, um Schritt für Schritt in die Perspektive des Meisters, d.h. Mariens, hineinzuwachsen. Dazu gehört einerseits das Bemühen, Maria die Lösung des Anliegens voll und ganz zuzutrauen: „Ich glaube wirklich, dass du meine Schwierigkeit lösen kannst. Und wirst. Ganz sicher!“ Genauso wichtig ist freilich das Bewusstsein, dass Maria einen viel umfassenderen Blick auf das eigene Leben hat als man selber – so wie man beim Meisterkurs dem Konzertorganisten eine größere Kompetenz zuerkennt als der eigenen Interpretation. Während der Novene ringt man täglich neu darum, Maria zuzutrauen, dass sie das Anliegen lösen wird, und ihr gleichzeitig zu „erlauben“, es auf eine Weise zu lösen, die den eigenen bisherigen Horizont vielleicht überschreitet. Die Rosenkranzgeheimnisse der Novene bilden für dieses Ringen im Herzen des Beters einen hervorragenden Betrachtungsrahmen, denn auch Maria fiel ihre Offenheit für die Pläne Gottes nicht ein-fach in den Schoß: Bei der Verkündigung und der Visitatio lagen für sie die konkreten Details ihrer Mutterschaft noch völlig im Dunkeln. Betlehem, Aufopferung und Tempelbesuch mit dem 12-jährigen Jesus verliefen völlig anders, als sie er-wartet hatte. Noch mehr gilt dies von den schmerzhaften Geheimnissen, aber auch von den lichtreichen, wo Maria z.B. bei den beiden „schönsten“ Ereignissen (Geheimnis 4 und 5) nicht einmal dabei war. Doch gleichzeitig spielte sie bei allen Geheimnissen eine wichtige Rolle, manchmal verborgen, doch immer zentral. Um diese beiden Aspekte geht es auch bei der „Übungszeit“ der pompejischen Novene. Man ringt darum, Maria – erstens – eine wesentliche Rolle in der Lösung der eigenen Anliegen zuzutrauen und – zweitens – gleichzeitig offen zu bleiben (oder zu werden) für die Pläne des Himmels. Ohne dieses Vertrauen und ohne die Offenheit für einen möglichen Perspektivenwechsel wäre die Novene wie ein Meisterkurs, bei dem man die Fähigkeit des Meisters bezweifelt oder überzeugt wäre, die eigenen Vorstellungen seien sowieso die besten.
Daraus folgt für die Umsetzung der Novene
Manchmal wird die Frage gestellt, ob die pompejische Novene mit drei täglichen Rosenkränzen überhaupt vollständig sei, oder ob seit der Einführung der lichtreichen Geheimnisse vier Rosenkränze nötig wären. Andererseits erwähnen manche Beschreibungen der pompejischen Novene nur einen einzigen Rosenkranz pro Tag. Und überhaupt: Ist ein andächtiges Gesätzchen nicht wertvoller als 15 zerstreute…? Der Vergleich mit dem Meisterkurs zeigt, wie solche Überlegungen am eigentlichen Sinn der Novene vorbeigehen. Es geht ja nicht um die Anhäufung eines bestimmen Gebetsquantums, sondern um das Ab-stecken eines Rahmens, in dem man als Beter an der Hand Mariens im Vertrauen auf Jesus wachsen will und um Offenheit für ihre und seine Perspektive ringt. Es ist offensichtlich, dass ein vertrauens-volles Gesätzchen besser ist als 15 rein mechanische. Aber genauso klar ist, dass der konkrete Vorsatz, in den nächsten 54 Tagen täglich eine gute Stunde lang um eine Intensivierung unseres Vertrauens zu ringen, einen ganz besonderen Wert hat; die persönliche Beziehung zu Jesus und Maria wird hier mehr wachsen können als bei einem Gesätzchen, das man betet, wenn einem mal gerade der Sinn danach steht. Die Entscheidung zur Teilnahme an einem anspruchsvollen „Meisterkurs“ ist ja bereits Ausdruck eines besonderen Vertrauens auf die Führung Mariens und hat damit – jenseits aller Verdienstgedanken – eine besondere Wirkung. (Nebenbei: Eine originelle Version der pompejischen Novene besteht darin, sich die Hilfe anderer Mitbeter zu erbitten und die drei täglichen Rosenkränze damit aufzuteilen. Gemeinsam im Gebet um ein Anliegen vereint zu sein, bereichert die Novene um eine zusätzlich Dimension – so wie beim Meisterkurs die Schüler auch voneinander profitieren). Wenn wir die pompejische Novene im Verständnis eines marianischen Meisterkurses beten, kann sie zu einem wunderbaren Instrument werden, unsere Beziehung und unser Vertrauen zu unserer himmlischen Mutter zu vertiefen und in ihre Perspektive auf unser Leben hinein-zuwachsen.
So betet man eine pompejische Novene
Die Pompejische Novene (auch Rosenkranz–Novene oder 54-tägige Novene) genannt, geht auf den seligen Bartolo Longo zurück, den Gründer des Rosenkranz-Heiligtums von Pompeji. Die Novene besteht aus zwei Teilen, nämlich einer Bitt- und einer Danknovene. Jede dauert 9 × 3 = 27 Tage, d.h. 54 Tage insgesamt. Es ist ein guter Brauch, den Rosenkranz mit folgender Widmung zu beginnen: „Diesen Rosenkranz bete ich zu Ehren von Dir, Königin des heiligen Rosenkranzes von Pompeji.“ In der Zeit der Bittnovenen schließt man die Rosenkränze ab mit folgendem Gebet:„O barmherzige Jungfrau, Königin des heiligen Rosenkranzes von Pompeji, noch niemand hat je gehört, dass Du jene, die Dich mit dem heiligen Rosenkranz verehren und Deine Hilfe angerufen haben, je verlassen hättest. Ach, verschmähe meine Bitte nicht, o Gottesgebärerin, sondern erhöre mich durch Deinen heiligen Rosenkranz und Deine große Zuneigung, die Du zu Deinem Tempel in Pompeji bekundest. Königin des heiligen Rosenkranzes von Pompeji, bitte für uns! Amen.“ Die Rosenkränze der Danknovenen enden mit folgenden Worten: „Was kann ich Dir geben, o Königin voll Liebe? Mein ganzes Leben ist Dir geweiht. So lange ich bei Kräften bin, werde ich Deine Ehre, o Jungfrau vom heiligen Rosenkranz von Pompeji, zu verbreiten suchen, denn als ich zu Dir rief, gewährte mir der Herr seine Gnade. Überall werde ich von der Barmherzigkeit erzählen, die Du mir erwiesen hast. Nach Möglichkeit werde ich die Andacht des heiligen Rosenkranzes fördern, allen werde ich sagen, wie gütig Du an mir gehandelt hast, damit sich auch die unwürdigen Sünder, gleich wie ich, vertrauensvoll zu Dir wenden. O, wenn nur die ganze Welt wüsste, wie Du gütig und barmherzig bist gegen alle, die da leiden! Alle Geschöpfe würden zu Dir kommen, um Hilfe und Rettung bei Dir zu suchen. Königin des heiligen Rosenkranzes von Pompeji, bitte für uns! Amen.“
(Erschienen in PM 147 4-2019, S. 5-7)
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